Der Teufel in Frankreich
hartnäckig von vorne an mit ihren Argumenten. Auch erwiesen sie uns immer wieder von neuem allerhand kleine Dienste, zeigten uns, daß sie sich uns zugehörig fühlten, nicht den andern. Aber das half nichts. Die meisten von uns schauten auf sie mit einer leisen Verachtung, gemischt mit Mitleid. Wir waren überzeugt, die Armen hätten das schlechtere Teil erwählt und würden, wenn die Nazis kämen, bittere Erfahrungen zu machen haben.
So hockten, standen, liefen wir herum, tranken den letzten Kaffee von Les Milles, schnürten unsere Bündel. Da, inmitten dieser Geschäftigkeit, während ich gerade die Stoffsandalen, welche ich die ganze Lagerzeit über getragen hatte, gegen feste Schuhe vertauschte, kam in großer Betretenheit ein junger österreichischer Arzt zu mir, der einige Strohschütten entfernt schlief, der Nachbar Hasenclevers. »Kommen Sie«, sagte er, »kommen Sie schnell, ich fürchte, es ist etwas passiert. Ich bringe Hasenclever absolut nicht hoch. Er wacht nicht auf.«
Wir gingen hinüber. Es standen schon vier oder fünf andere da, auch zwei Ärzte, wir hatten viele Ärzte unter uns, »Er hat ein Schlafmittel genommen, das ist sicher«, erklärten sie. »Man müßte ihm schleunigst den Magen auspumpen.«
Wir standen herum um den unbewegt daliegenden Körper. Hasenclever hatte immer etwas Beflissenes, Eiliges an sich gehabt, auf seinem gescheiten, lebendigen, spitzen, mäuseartigen Gesicht war in den letzten Jahren stets ein nervöses Zucken gewesen, man konnte ihn sich nur mit Mühe schlafend vorstellen. Da lag er nun, steinschwer, nicht zu erwecken.
Gestern abend, unmittelbar bevor das Licht ausgedreht wurde, war er bei mir vorbeigekommen; ich war gerade im Gespräch mit meinem Nachbarn, dem Mechaniker. »Kann ich Sie sprechen, Feuchtwanger?« hatte Hasenclever gefragt. »Gewiß«, hatte ich erwidert, »nur einen kleinen Augenblick noch.« (Ich wollte mein Gespräch mit dem Mechaniker zum Abschluß bringen.) »Nein, nein«, hatte er geantwortet, »lassen Sie sich nicht stören, es ist nicht wichtig. Gute Nacht also.« Und drückend stieg mir die Erinnerung auf an das Gespräch gestern an der Steinrampe, in der Sonne. »Fünf Prozent Hoffnung«, hatte ich gesagt, und: »Wirklich nur fünf Prozent?« hatte Hasenclever erwidert. Und jetzt lag er da und war nicht wach zu bekommen. Hatte er den Glauben an den Abgang des Zuges verloren? Oder hatte er einfach die ewigen, schmutzigen Strapazen dieses kümmerlichen, erniedrigten Daseins nicht mehr mitmachen wollen?
Man brachte eine Bahre und trug den Bewußtlosen über die schmale, schmutzige Holzstiege. Er sollte in die Krankenbaracke, damit ihm dort der Magen ausgepumpt werde. Die Träger der Bahre erkämpften sich den Weg über die Holzstiege, die voll war von solchen, die mit ihren Bündeln hinunter in den Hof wollten. Einer der Verdrängten, als der trübe Zug vorbeikam, sagte erbittert: »Sie sollten ihn schon in Ruhe verrekken lassen.« Doch das zu tun wäre gegen die Gesetze der Humanität und der französischen Hospitalität gewesen.
Mittlerweile sammelten wir uns im Hof. Wir wurden in neue Gruppen eingeteilt, es geschah umständlich, mit der gewohnten Bürokratie, aber wir hatten ja Zeit, der Zug sollte erst um elf Uhr abgehen.
Wir standen herum und warteten. Die andern, die Zurückbleibenden, versammelten sich rings um uns, standen an den Fenstern, schauten zu, warteten mit, erregt wie wir, fanden immer noch etwas zu sagen.
Von den kultivierten älteren österreichischen Her- ren hatten sich nur zwei entschlossen mitzukommen. Die übrigen saßen auf ihren Klappstühlen, elegant und verschlissen, und schauten, auch sie, den Vorbereitungen unserer Abreise zu, würdig, resigniert. Einer vertraute mir heimlich an, er habe sich Blausäure verschafft. »Echte Blausäure«, sagte er.
Ich ging hinüber in die Krankenbaracke zu Hasenclever. Die Krankenbaracke war ein kahler, elender Steinbau. Die Kranken lagen auf abgenutzten Feldbetten, es roch entsetzlich. Dort, in einer Art Sonderverschlag, lag der sterbende Hasenclever. Sein Gesicht war hochrot, sein Hals aufgequollen, die Zunge hing dick und blau heraus; man sagte mir, das komme vom Auspumpen des Magens. Er röchelte stark. Ein deutscher Arzt war bei ihm und ein französischer. Man versicherte, Hasenclever sei nicht bei Bewußtsein, er spüre nichts mehr, er höre nichts mehr. Der französische Arzt meinte, es sei noch Hoffnung, der deutsche hatte keine.
Ich ging zum Kommandanten. Der
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