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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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oder andere Vergnügungen gehängt hatte, gut angewandt gewesen sei oder nicht. Mit der gleichen hartnäckigen Pedanterie und mit dem Streben nach größter Ehrlichkeit suchte ich zu ermitteln, wieviel Zeit ich auf Lebenswertes verwandt hatte und wieviel Zeit auf Dinge und Menschen, die nicht gelohnt hatten.
    Ich war zufrieden. Es war schon so: im Grunde hatte alles gelohnt, auch das Sinnlose. Ich dachte an gewisse, besonders sinnlose Dinge, die ich angestellt hatte, ich war froh daran in der Erinnerung, ich lächelte auf meinem Stroh.

    Der Tag kam. Die Tore wurden geöffnet. Größte Spannung war: Was ist mit dem Zug? Kommt der versprochene Zug?
    Von einer Stelle des Lagers aus konnte man eine Böschung und ein Stück Geleise übersehen. Scharfäugige glaubten auf dem Stück Geleise Waggons zu erkennen. Es standen wirklich Waggons da. Aber es waren – darüber klärten uns die Wachsoldaten bald auf – nur wenige, und sie waren nicht für uns bestimmt.
    Unsre Hoffnung sank. Dann aber hieß es, aus technischen Gründen werde der Abtransport in Gruppen vorgenommen, und die Mannschaften der Gruppen 26 bis 50, soweit sie sich in die Liste der Abzutransportierenden hatten eintragen lassen, erhielten Befehl, um zwei Uhr mittags mit ihrem Gepäck im Westhof Aufstellung zu nehmen.
    Die Gruppen 26 bis 50 wurden sehr beneidet. Ein paar freilich waren noch immer nicht fertig geworden mit dem Entschluß, zu gehen oder zu bleiben. Zwei ältere Männer vor allem redeten auf mich ein. Sie wußten durchaus nicht, was sie tun sollten. Sie waren tiefunglücklich, vor eine so folgenschwere Entscheidung gestellt zu sein. Es fehlte nicht viel, daß sie mir Vorwürfe machten. War nicht ich es, der den Kapitän dazu gebracht hatte, dem einzelnen die Entscheidung zu überlassen? Sie hätten es wahrhaftig vorgezogen, wenn die Militärbürokratie über sie verfügt hätte, ohne sie zu fragen.
    Alles in allem aber waren die vierhundert Abzutransportierenden der Gruppen 26 bis 50, als sie sich um zwei Uhr im Hofe versammelten, in glücklicher Erregung. Da standen sie und warteten, und wir andern warteten mit, beinahe ebenso gespannt.
    Zehn Minuten vergingen, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, noch eine halbe Stunde. Dann wurden die Aufgestellten wieder zurückgeschickt. Der Zug ging heute nicht.
    Enttäuschung, tiefste Niedergeschlagenheit. Wir verzehrten uns in ohnmächtiger Wut. Man hielt uns zum Narren. Man ließ uns hier sitzen, bis die Nazis kämen. Wenn man tat, als geschähe etwas, dann nur, um uns von der Flucht zurückzuhalten. Man wollte uns den Nazis ausliefern, um sich lieb Kind bei ihnen zu machen.
    Meine jungen österreichischen Freunde redeten von neuem auf mich ein, ich solle doch mit ihnen durchbrennen, durch das Kanalrohr. Als sie merkten, daß ich nicht recht zog, setzten sie mir auseinander, wie ich, falls das Lager in dieser Nacht von den Nazis besetzt werden sollte, durch das Fenster springen könnte, um zu ihnen zu stoßen. Es war alles recht halsbrecherisch. Ich ließ es mir zweimal erklären. Begriffen habe ich es nicht, und geglückt wäre es bestimmt nicht.
    Ich wollte allein sein, ich mußte ein paar Minuten allein sein. In einem Winkel des Areals gab es ein kleines Vorratsgebäude, in dem es dumpf, dunkel und muffig war. Vielleicht konnte ich dort eine Weile still für mich auf dem Steinboden hocken, die Augen schließen, vor mich hin dösen.
    An der Steinrampe vor dem kleinen Vorratsgebäude stand eine Gruppe von ein paar Leuten. »Kommen Sie doch zu uns, bitte«, forderte einer mich auf. »Heben Sie ein wenig unsere Stimmung. Wir sind alle ganz down. Sie sind immer so optimistisch.« – »Ja«, sagte ein ande rer aus der Gruppe, es war der Dichter Walter Hasenclever, »ja, lieber Feuchtwanger, wir brauchen Mut heute. Wieviel Prozent Hoffnung geben Sie uns?« Wir standen in der Sonne, ein kleiner Wind ging, nicht zuviel und nicht zuwenig, es war immer herrliches Wetter in jener Zeit. Aber ich hatte so vielen Kleinmütigen Mut zugesprochen in den letzten Tagen, es erforderte Kraft, sich nicht nur selber aufrecht zu halten, sondern auch Hoffnung an andere abzugeben, die Unterredung mit den Österreichern hatte mich mitgenommen, ich war ausgefüllt von dem Anblick derer, die hoffnungsfroh auf dem Hof gestanden und dann wieder zurückgeschickt waren. Ich war angesteckt von der allgemeinen Depression. »Wieviel Hoffnung?« fragte ich zurück, und »fünf Prozent« sagte ich, und meine Stimme drückte wohl aus,

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