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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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wie trüb, müd und leer ich mich fühlte.
    Ich hätte nicht so sprechen sollen, ich hätte das mit den »fünf Prozent« nicht sagen sollen. Es war nicht mein Ernst, es stimmte nicht, subjektiv nicht und objektiv nicht. Ich galt als optimistisch, und wenn ich, statt die andern aufzumuntern, so defaitistisch daherredete, dann war das sündhafte Leichtfertigkeit. Ich mußte denn auch wahrnehmen, daß meine Antwort auf die andern Eindruck machte. »Wirklich nur fünf Prozent?« erwog Hasenclever, und: »Ich fürchte, Sie haben recht«, beantwortete er selber seine Frage.
    Dann sprach man wieder davon, wie man wohl am besten, wenn einen wirklich die Nazis überraschten, Schluß machen könnte. Hasenclever hatte ein neues Mittel gefunden. Man wende sich, riet er, an einen der Nazi-Wachsoldaten, gebe ihm, was man an Geld bei sich habe, und sage ihm: »Höre, Kamerad, ich werde jetzt einen Fluchtversuch machen. Ziele gut.«
    Es war mittlerweile der österreichische Polyhistor zu uns gestoßen. Lauschend hatte er sein großes, schmutziges Ohr vorgestreckt, und er begann jetzt, vom Tod des Sokrates zu erzählen. Aus dem Gedächtnis zitierte er eine Reihe von Quellenberichten. Ich hörte nur halb hin. Ich ärgerte mich, daß ich das mit den fünf Prozent gesagt hatte. Doch – so ist nun einmal der Mensch – statt mich selber zurechtzuweisen, war ich gereizt gegen den unschuldigen, verrückten österreichischen Polyhistor. Alles an ihm reizte mich, sein Schmutz, seine ölige Stimme. »Hören Sie, Dr. P.«, sagte ich zu ihm, »erklären Sie mir doch einmal, was Ihrer Meinung nach die dunkle Äußerung des Sokrates bedeuten soll: ›Freunde, wir müssen dem Asklepios noch einen Hahn opfern.‹« Ich hatte darüber nach vielen gezwungenen Kommentaren vor nicht langer Zeit eine plausible Erklärung gelesen, aber sie war mir entfallen. Der Österreicher hatte sie nicht gelesen. Es befriedigte mich, daß er versagte.

    Der Nachmittag schritt vor. Er brachte eine Reihe von Anzeichen, daß unsere Depression grundlos war und daß der Transport dennoch abgehen werde.
    Zuerst wurde, obgleich das nicht der dafür festgesetzte Tag war, Post verteilt. (Es war nicht viel Post, und nur wenige bekamen klare Mitteilungen über das Schicksal ihrer Angehörigen. Doch wenn man die verschiedenen Nachrichten zusammenhielt, dann wurde es wahrscheinlich, daß man unsere Frauen fast alle in dem riesigen Lager von Gurs untergebracht hatte, in den Pyrenäen.)
    Dann erzählten die in der Küche Beschäftigten, es seien in großen Massen Konserven eingetroffen, Käse, Brot und dergleichen, Proviant offenbar für die Fahrt.
    Weiter wurde bekanntgegeben, daß, wer wolle, das Geld zurückhaben könne, das er bei der Einlieferung ins Lager im Büro habe deponieren müssen. Da stand denn zum letzten Mal eine endlose Reihe Wartender vor dem kleinen Schalter, an dem Geld ausgezahlt wurde. Nicht ohne Ironie war es, daß wir bei dieser Auszahlung durch eine große Inschrift und auch durch direkte Aufforderungen des überwachenden Leutnants ermahnt wurden, Spenden für Frankreich zu geben.
    Es stellte sich heraus, daß die hinterlegten Gelder mancher Transporte, die aus Nordfrankreich gekommen waren, fehlten. Die Kommandanten jener Lager hatten die Beträge bei ihren lokalen Banken deponiert, und die überstürzte Eile des Abtransports hatte es ihnen unmöglich gemacht, sie noch zu beheben. Jetzt stellte man den davon betroffenen Internierten Bescheinigungen aus, das Regiment Nummer Soundso schulde dem Internierten Soundso den oder jenen Betrag. Was aber konnte der Internierte mit einem solchen Schein anfangen? Er versuchte ihn an irgendeinen Franzosen zu verkaufen, zu welchem Preis immer.
    Und dann, zuletzt, erfolgte etwas ganz Großes. Der Kommandant verkündete durch Anschlag, der Zug werde morgen, am 22. Juni, um elf Uhr vormittag von der Station Les Milles abgehen. Angebracht war der Anschlag an einem der zurückgeschobenen Flügel jenes Haupttores ins Innere. Da standen wir, vor uns gähnte das schwarze Loch, und wir lasen den Anschlag. Schriftlich stand es da, schwarz auf weiß, mit Schreibmaschinenlettern, und groß in seiner runden, ornamentalen Schrift, in hoffnungsvollem Blau, hatte der Kommandant seinen Namen daruntergesetzt: Goruchon.
    Jeder eilte, den Anschlag zu lesen. Lange stand jeder davor. Wir schauten den Anschlag an, wir schauten uns selber an. Die meisten glaubten wohl, jetzt endlich sei es an dem. Allein sie wagten nicht, ihren Glauben

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