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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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und wirklich wurde noch einer hereingepreßt.
    Finster standen wir herum, eng einer am andern. An Sitzen war nun nicht mehr zu denken. Die algerischen Wachen waren freundlich. Der eine war ein bärtiger, älterer Mann, der andere etwa dreißig, ein schöner Mensch mit Tieraugen. Sie sprachen nur wenig Französisch, aber zwei unter uns sprachen Arabisch. Wir boten den Wachen Zigaretten an, wir verstanden uns gut mit ihnen.
    Es ist merkwürdig, wie schnell man sich jeder Situation, auch der übelsten, anpaßt und das Bestmögliche aus ihr herausholt. Wir ordneten das Gepäck so, daß es noch weniger Raum einnahm. Wir beschieden uns. So war nun einmal unser Waggon. Er war eng, er war scheußlich, aber er wird uns in die Freiheit tragen.

    Und dann – wir atmeten auf – setzte sich der Zug in Bewegung.
    Die algerischen Wachen erlaubten, entgegen der Vorschrift, daß wir die große Schiebetür wieder öffneten. Ein paar Glückliche saßen in der weiten Öffnung und ließen die Beine hinunterbaumeln. Ich stand nach hinten gedrängt, aber so, daß ich, wenn ich mich auf die Zehen stellte, hinaussehen konnte. Der Zug ratterte das Lager entlang, den Hof der Ziegelei entlang, ich konnte die andern sehen, die Zurückbleibenden. An einer geschlossenen Schranke standen ein paar Soldaten, zwei Offiziere, der Kommandant. Mit der behandschuhten Rechten winkte er dem Zug zu, stolzen Gesichtes, er hatte es geschafft. Er war wohl auch froh, daß er uns los war.
    Der Zug rumpelte und ratterte, man fiel immerzu aufeinander. Ein Stück löste sich aus dem kunstvoll errichteten Gepäckaufbau, ein zweites, schließlich stürzte der ganze Aufbau ein. Trotzdem waren wir, zumindest in dieser ersten halben Stunde, glücklich. Wir waren fort aus Les Milles, wir brauchten nicht mehr mit gebundenen Händen auf die Schlächter zu warten.
    Ich betrachtete mir die Fuhre Menschen, die der Zufall da zusammengewürfelt hatte. Da war zunächst mein hilfsbereiter Nachbar, der Mechaniker, der Saarländer. Ein Freund von ihm war mit im Wagen, ein kleiner Fabrikant und dessen Sohn. Der Fabrikant war ein gescheiter, welterfahrener Mann aus Odessa, und es traf sich seltsam, daß im gleichen Wagen nochmals Leute aus Odessa waren, und es war nochmals Vater und Sohn. Die beiden Paare hatten sich vorher nicht gesehen, sie lernten sich im Wagen kennen und waren sich vom ersten Anblick an zuwider.
    Von dem phlegmatischen, fetten jungen Holländer und von seinem Klappstühlchen habe ich schon gesprochen. Er hielt, solange er stehen mußte, sein Stühlchen fest an sich gepreßt, und es focht ihn nicht an, daß der Nachbar schimpfte, die Eisenschiene stoße ihn in die Rippen. Aber als er sich ein wenig Raum erkämpft hatte und beglückt sein Klappstühlchen aufschlagen wollte, empörten sich alle; denn es war unter uns ein Kranker, und der Holländer mußte verdrossenen Ge sichtes edel, hilfreich und gut sein und dem Kranken sein Stühlchen abtreten. Es waren dann weiter da zwei sehr umfangreiche Kaufleute. Von ihrem Gepäck war beinahe alles aus dem Wagen herausgeworfen worden, aber gerettet hatten sie eine zusammengerollte Matratze, auf der saßen sie stolz, als die Reihe zu sitzen an sie kam. Dann war da ein jüngerer Herr mit einem Knabengesicht und von bescheidenem, aber sehr sicherem Wesen; ihm fiel, ohne daß er sich bemüht hätte, die Leitung und Organisierung des Wagens zu. Eine dankbare Aufgabe war das nicht. Der Holländer zum Beispiel war sichtlich erfüllt von tiefem Widerwillen gegen diesen jungen Herrn, weil er es gewesen war, der ihm sein Stühlchen für den Kranken weggenommen hatte. Alle diese Menschen, vom ersten Augenblick an einander angenehm oder zuwider, waren jetzt aneinandergepreßt, ineinander verfilzt, für die Dauer der Fahrt unlöslich miteinander verbunden.
    So ratterten wir also von Les Milles fort, und wir zerbrachen uns den Kopf, wohin wir fuhren. Brachte man uns in die Pyrenäen? In eins der Lager in den Ostpyrenäen? Oder weiter weg nach dem Westen? Vielleicht nach Gurs, wo unsre Frauen waren? Oder hatte man gar vor, uns übers Meer zu verfrachten, in eine der Kolonien? Wie immer, unser nächstes Ziel war die Rhône. In Sicherheit waren wir erst, wenn wir jenseits der Rhône waren. (Einer von uns übrigens konnte sich nicht enthalten, bei den Erörterungen über diesen Punkt, sooft einer, wie das üblich ist, » die Rhône« sagte, zu korrigieren » der Rhône«; womit er recht hatte, was aber alle ärgerte. »Wir wissen schon,

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