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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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müssen, schon um warme Mahlzeiten für sich und seine Soldaten zu erhalten. Überall hatten die VerpflegungsOffiziere gemurrt, er hatte von einem Ort zum andern telefonieren müssen. »Ich komme mit zweitausend Boches«, hatte er telefoniert, »habt ihr was für uns zu essen?« Gerüchte von diesen Telefongesprächen hatten sich verbreitet, Gerüchte von unserm Transport. In dem desorganisierten, von Panik erfüllten Land hatte es geheißen, die Boches seien im Anzuge. Die Gerüchte waren ernst genommen worden. Wir waren vor unserm eigenen Schatten geflohen.

    Der Zustand des Kranken in unserm Waggon hatte sich in der Zwischenzeit verschlimmert. Wir holten einen unserer Ärzte, ihn zu untersuchen. Der Arzt erklärte, der Mann leide an Typhus, und abgesehen von der Gefahr, in die ihn selber der Weitertransport bringe, bedeute es Gefahr auch für uns alle, ihn im Wagen zu belassen. Er müsse an der nächsten Station ins Hospital. Er, der Arzt, werde das bei dem Kommandanten veranlassen.
    Allein der Kranke weigerte sich. Er wollte nicht fort von uns, er wollte nicht aus dem Wagen. Blaß, eingefallen, hilflos hockte er da, vornübergeneigt, schwitzend, erschöpft, und wiederholte immer wieder störrisch: »Nein, ich gehe nicht heraus aus dem Waggon.« Er glaubte sich verloren, wenn er heraus müsse. Er sprach kein Wort Französisch. Er wollte nicht allein und hilflos sterben in einem französischen Hospital. Er wollte nicht von den Nazis verscharrt werden wie ein Hund. Er wurde dann schließlich doch von französischen Heilgehilfen herausgeholt. Er protestierte kläglich, verzweifelt. Aber die Franzosen verstanden ihn nicht.

    Am nächsten Tag hieß es mit aller Bestimmtheit, der Waffenstillstand sei abgeschlossen. Wir hielten außerhalb einer größeren Station, ich glaube, es war Toulouse. Unserm Zug gegenüber stand eine Reihe leerer Wagen, eine Scheuerfrau putzte die Fenster. Wir schrien ihr zu: »Sagen Sie, Madame, ist der Waffenstillstand abgeschlossen?« Die Frau putzte ihre Fenster weiter. »Ja«, sagte sie, »ich glaube, ja.«
    Wir trieben eine Zeitung auf. Die Zeitung war schwarzumrändert. Der Waffenstillstand war abgeschlossen.
    Wir studierten das Zeitungsblatt. Die Nachrichten waren kärglich, ihr Inhalt vage. Aber eine Karte war da, auf der das zu besetzende Gebiet schraffiert, das frei bleibende weiß eingezeichnet war. Wir befanden uns im weißen Teil, das war gewiß.
    Ich hockte auf dem Trittbrett eines der leeren Wagen, welche die Frau gereinigt hatte. Einige von den Unsern sprachen zu mir. Ich hörte nicht hin. Waffenstillstand. Dieser Krieg war unser Krieg. Hatten wir ihn verloren? Wir hatten ihn nicht verloren. Die französischen Faschisten hatten ihr Land unserm Feind ausgeliefert. Das war ein Schlag für uns, aber es bedeutete keineswegs, daß der Krieg verloren sei. Es bewies nicht einmal sehr viel für die militärische Kraft unseres Geg ners. Es war nicht so sehr ein militärischer Sieg. Es war nichts anderes als ein Beweis für die Tatsache, die wir von vornherein gewußt hatten: daß nämlich die Faschisten aller Länder, wenn es darauf ankommt, das nationale Interesse ihres Landes ohne Skrupeln ihren Sonderinteressen opfern.
    Keinen Augenblick zweifelte ich an dem Endsieg unserer Sache. Selbstverständlich wagte ich nicht, mir oder den andern auszumalen, welche Einzelergebnisse dieser Krieg bringen werde. Aber das hatte ich von Anfang an gewußt, mit einer aus dem Verstand nicht weniger als aus dem Gefühl herrührenden Sicherheit, mit einer Sicherheit, die kein Zwischenereignis gefährden konnte: daß am Ende dieses Krieges der Nationalsozialismus, der Faschismus, besiegt sein wird.
    »En voiture, einsteigen«, riefen die Wachsoldaten. In unserm Waggon wurde heftig diskutiert. War nun der Krieg zu Ende? Nur wenige glaubten das. Die militärische Niederlage Frankreichs war Tatsache gewesen von dem Augenblick an, da eine unfähige und zum Teil den Nazis und Faschisten, zumindest innerlich, verbundene Generalität die Nazis ins Land gelassen hatte. Der Waffenstillstand war also gewissermaßen nur die aktenmäßige Feststellung einer Tatsache, an der schon lange niemand mehr gezweifelt hatte. Uns hier, den Insassen des Zuges, brachte für die nächste Gegenwart dieser Waffenstillstand nur Vorteile. Wir hatten den Krieg mitmachen müssen, gebunden, gefangen, ohnmächtige Opfer einer unvernünftigen, wenn nicht böswilligen Militärclique. Jetzt war der Krieg aus, und was immer der Ausgang mit

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