Der Teufel in Frankreich
»Halt’s Maul, Sauhund«, fluchte man. Die Stimme aber winselte weiter: »Gott meiner Väter, Gott meiner Väter«, und ich konnte nicht schlafen.
So fuhren wir dahin durch die feindliche Nacht. Langsam fuhr unser Zug, und mit ihm fuhr unser Elend und die Angst unserer Herzen und unsere Bosheit und unser Jammer.
Gestern hatten wir uns so beeilt, nach Bayonne zu kommen, in den Bereich der Hitler-Truppen. Jetzt zögerte unser Zug und zögerte und kam nicht von der Stelle. Es war schon nahe an Mitternacht, als wir endlich wieder nach Pau kamen.
Pau ist ein großer, komfortabler Kurort. Hier packte es plötzlich einen der Insassen unseres Wagens, einen älteren Mann, der sich bisher besonders ruhig und vernünftig verhalten hatte. Er erklärte: »Hier in Pau kennt man mich, ich habe hier jedes Jahr ein paar Monate gewohnt, immer im gleichen Hotel. Ich geh jetzt fort aus diesem Zug. Ich habe genug. Ich will jetzt schlafen, in einem richtigen Bett. Gegen viel Geld muß sich hier in Pau ein Bett finden. Wenn ich Hitler in die Hände falle, dann will ich wenigstens zuvor noch einmal in einem richtigen Bett geschlafen haben.« Und er machte sich davon.
Es wurde Tag, und wir waren immer erst in Lourdes. Hier hatten wir wieder Aufenthalt, drei Stunden, vier Stunden. Zwei endlose Züge, beladen mit Kriegsmaterial, standen auf den Geleisen neben unserm Zug. Auf dem dritten Geleise aber, bewacht von französischen Soldaten, stand ein Zug mit gefangenen Frauen, deutschen Frauen, Frauen von uns. Immer wieder versuchten welche von uns, über die Tender der Wagen der Materialzüge zu klettern, um zu den Frauen zu gelangen, immer wieder wurden sie von den Soldaten, die strenge Order hatten, zurückgejagt. Nichts weiter konnten wir tun, als von unserm Perron aus zwischen den Wagen der Materialzüge hindurch hinüberzuschreien zu den Frauen, und die Frauen schrien herüber zu uns.
Zettel und Briefe gingen hin und her. Es ergab sich: die Frauen fast von uns allen waren interniert in dem Pyrenäenlager Gurs.
In Lourdes auch erfuhren wir, daß ein alter General die Regierung übernommen habe und daß er und sein faschistisches Kabinett erklärt hatten, sie gäben den Kampf auf. Sie hatten die Deutschen um Waffenstillstand gebeten. Welche Forderungen werden die Deutschen stellen? Welche Teile Frankreichs werden sie besetzen? Wo werden wir sein, wenn der Waffenstillstand abgeschlossen wird, in besetztem oder in unbesetztem Gebiet? Hundert Gerüchte gingen. Bestimmtes war nicht zu erfahren.
Und wir fuhren zurück, immer die Strecke zurück, die wir gestern gefahren waren. Da meine jungen, hilfsbereiten Österreicher fort waren, hatte es keinen Sinn mehr, in ihrem wüsten Wagen zu bleiben. Die Insassen meines früheren deutschen Waggons luden mich freundlich ein, zurückzukommen. Ich tat es. Es war mehr Platz in diesem Wagen und mehr Gesittung. Es war wie eine Heimkehr.
Im Laufe des Tages, während wir langsam, langsam zurückfuhren, stießen manche der Geflohenen wieder zu uns. Sie hatten erkannt, daß es aussichtslos war, sich allein durchzuschlagen, sie hatten irgendeiner Militärbehörde oder einem Bahnhofsvorsteher erklärt, sie hätten ihren Transport, uns, verloren und sie wären uns nachgesandt worden. Uns einzuholen war nicht schwer, die meisten Transporte kamen schneller voran als wir. Gut gehabt hatten sie es nicht, diese Entflohenen. Sie erzählten von langen Fußmärschen durch die Nacht im schweren Regen, nicht viele hatten Unterkunft gefunden.
Zurück kam auch jener Herr, der sich in Pau davongemacht hatte, um wieder einmal in einem Bett zu schlafen. Er hatte eine Enttäuschung erlebt. Ein Bett zwar hatte er aufgetrieben. Doch die lange Gewöhnung an Stroh und harten Boden hatte ihn in dem weichen Bett keinen Schlaf finden lassen. Schließlich hatte er sich auf den Boden gelegt. Er war sehr erbittert.
Im übrigen stellte sich jetzt heraus, daß die Deutschen gar nicht nach Bayonne gekommen waren, daß sie noch immer nicht in Bayonne waren. Vielmehr hatte unser unglückseliger Transport auf der ganzen Strecke, die wir durchfahren hatten, die albernsten Gerüchte hervorgerufen, bis wir zuletzt selber die Opfer eines grotesken Mißverständnisses geworden waren. Wir konnten jetzt genau überblicken, wie alles zusammenhing. Die Gegend, die wir hatten durchfahren müssen, war überfüllt von Flüchtlingen, überall gingen die Lebensmittel aus. Der Kommandant unseres Transportes hatte also unsere Ankunft rechtzeitig melden
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