Der Teufel in Frankreich
war, von neuem vor, diesmal zur Abfahrt. Wir setzten uns auf unsre Plätze. Der Chauffeur kam, nahm seinen Führersitz ein, warf einen Blick auf die paar Passagiere, die sich bereits eingefunden hatten. Sah uns an, nahm die Zeitung vor, gähnte, steckte sie wieder weg. Stand langsam auf, schlenderte an uns vorbei und sagte halblaut: »Der Bus wird bestimmt kontrolliert, bevor er abfährt.« Mich überlief es unangenehm. Mein Begleiter sagte: »Ich denke, wir steigen besser aus.« Das taten wir. Der Chauffeur nickte uns zu.
Wir setzten uns in ein Café, aßen noch einen der schlechten Kuchen, tranken noch eines der künstlichen Getränke. Was sollten wir tun?
Ein proletarischer Freund, der seither durchgebrannt war, hatte mir die Adresse einer Dame gegeben, an die ich mich wenden könnte, wenn ich einmal in Nîmes Rat und Hilfe bräuchte.
Wir gingen zu ihr. Sie wohnte in einem kleinen Hotel in einer öden Seitenstraße. Eine Angestellte hieß uns in einem unordentlichen Speisezimmer warten. Nach kurzer Zeit kam die gesuchte Dame – sie war dick und hatte ein energisches Gesicht – und fragte erregt: »Bringen Sie mir Nachricht von meinem Mann?« Wir sagten: »Nein.« Ich nannte meinen Namen und sprach von meinem proletarischen Freund. Sie sagte: »Kommen Sie mit mir hinauf in mein Zimmer.« Sie war bekümmert, enttäuscht. Ihr Mann war mit in unserm Zug nach Bayonne gewesen. Er hatte ihr ein Telegramm aus Pau geschickt. Seither hatte sie nichts mehr von ihm gehört, sie hatte gehofft, wir würden ihr Nachricht bringen.
Im übrigen zeigte sich die Dame hilfsbereit, doch war sie, im Gegensatz zu der Energie ihres Gesichts, etwas ängstlich, auch war sie nicht sehr geschickt. Sie verwies uns an eine zweite Dame, Madame L., die Frau eines Lagerinsassen, eines Arztes. Die könne uns wahrscheinlich helfen. Der Débrouillard machte sich auf, zu ihr zu gehen, während sie selber, die Ängstlich-Energische, eine dritte Dame aufsuchte, die auch vielleicht Rat und Hilfe wisse. Der Débrouillard kam bald zurück, er hatte seine Dame nicht gefunden. Die Ängstlich-Energische aber brachte die dritte Dame mit. Auch diese wollte gerne helfen, doch war auch sie nervös und ängstlich, ja, alle fünf Minuten begann sie krampfhaft zu weinen. Immerhin hatte sie einen Plan. Sie kannte einen Weinspediteur; der konnte uns vielleicht in einem leeren Faß nach Marseille schaffen, er hatte dergleichen zweimal getan. Die Dame ging sogleich zu ihm. Doch sie kam unverrichteterdinge zurück. Wenn überhaupt, erzählte sie, aufgelöst weinend, dann wollte der Mann den Versuch frühestens in drei Tagen unternehmen. Aber er versprach nichts, er hatte erklärt, die Kontrolle sei unterdessen verschärft worden, und die Dame zweifelte, daß er es wagen werde.
Der Débrouillard fand, unter diesen Umständen habe es nicht viel Sinn, daß er in Nîmes bleibe. Ich sei vorläufig in der Obhut der drei Damen gut aufgehoben, und es erschwere nur meine Situation, wenn die Damen noch für die Unterbringung eines zweiten Flüchtlings zu sorgen hätten. Für alle Fälle wisse er jetzt, unter welcher Adresse ich zu erreichen sei. Damit verließ er mich und kehrte ins Lager zurück.
Die beiden Damen nahmen an, Madame L., von der sie sich am meisten versprachen, sei wohl mittlerweile nach Hause gekommen. Ich machte mich daran, sie aufzusuchen. Die Energische wollte mich begleiten, war aber zu ängstlich, sich mit mir zu zeigen, ich durfte ihr nur in einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten folgen.
Madame L. wohnte in der Nähe der Arena. Die Arena von Nîmes ist unter den erhaltenen Baulichkeiten des römischen Imperiums eine der eindrucksvollsten. Ich hatte sie mehrmals besichtigt, ich verdanke ihr eine lebendige Anschauung römischen Zirkuswesens. Jetzt war sie belegt mit Flüchtlingen.
Madame L. war zu Hause. In ihr traf ich den ersten jener selbstlos hilfsbereiten Menschen, die es mir am Ende ermöglichen sollten, dem Teufel in Frankreich und seiner sanften, schlampigen Hölle zu entkommen.
Das Haus, in welchem Madame L. wohnte, war niedrig, engbrüstig, die ganze Wohnung bestand aus einem kleinen Zimmer mit einer anstoßenden winzigen Küche. Sie hatte für diese Nacht bereits einer Französin Quartier zugesagt, die aus Nizza gekommen war, um ihren Freund zu besuchen, einen im Zeltlager internierten Berliner Anwalt. Außerdem erwartete sie für die Nacht eine junge Deutsche, die keine andre Unterkunft hatte finden können. Trotzdem hätte Frau L.
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