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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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rings das Lager umgaben, dann sah man vor sich die weißen Zelte, zahllose Feuer dazwischen und an den Feuern zerlumpte Männer, wild mit grünen Zweigen im Rauche fuchtelnd.
    An das Leben im Lager von Nîmes akklimatisierte man sich noch schneller als seinerzeit an das in Les Milles. Man gewöhnte sich an das Schlafen im Zelt, man gewöhnte sich an den ständigen Lärm, man gewöhnte sich daran, daß man niemals allein sein konnte, man gewöhnte sich an den Anblick der abgezehrten, wankenden Dysenteriekranken, man gewöhnte sich an den Gestank, man nahm es fatalistisch, daß man selber bestimmt Dysenterie bekommen wird. Diese Dinge wa ren erträglich. Man ließ sich ihrethalben das Essen nicht weniger schmecken und genoß ihrethalben ein gutes Männergespräch nicht weniger.
    Doch woran man sich nicht gewöhnen konnte, ein Stachel, der mit der Zeit nicht stumpfer wurde, sondern schärfer, das war die tiefe Unsicherheit, das war die Sorge wegen jener Klausel neunzehn.
    Sie war immer da, diese Sorge, die tödliche Frage: werden die Franzosen uns ausliefern? Sie saß neben uns, diese Sorge, wenn wir aßen und tranken, und über uns, wenn wir sprachen, und in uns, wenn wir schliefen. Wir taten, als nähmen wir die kleinen Dinge wichtig, die rings um uns waren, Essen und Trinken und das Jahrmarktsgewese des Lagers und die Hotels der Stadt Nîmes und ihre Restaurants und ihre Mädchen. Doch wenn wir uns damit beschäftigten, dann geschah es mit Vorbehalt; die Nichtigkeit dieser Dinge angesichts der Gefahr, in der wir schwebten, blieb uns immer bewußt. Morgen schon konnte die Hand sich schließen, in deren Griffbereich wir waren. Von allen Dingen, nach denen wir in der Stadt Nîmes Jagd machten, war immer noch das am meisten Begehrte ein bißchen Blausäure.
    Ernstlich bedroht waren von den zweitausend Insassen des Lagers etwa zwei- bis dreihundert. Die zwei- bis dreihundert Männer waren sehr verschieden von Wesen. Es gab unter ihnen Melancholiker und Heitere, Betrachtsame und Tatenlustige, Dumme und Gescheite, Oberflächliche und Grübler. Einen gemeinsamen Zug aber hatten sie alle, diese Bedrohten. Ihre Gedanken kehrten, ob sie wollten oder nicht, immer wieder zurück auf einen Punkt. Haben die Deutschen ihre Liste aufgestellt? Werden die Franzosen uns ausliefern? Sie versanken, diese Bedrohten, mitten im Gespräch in sich selber, und es kam vor, daß sie abrupt fragten: »Glauben Sie nun, daß die Liste da ist? Glauben Sie, daß wir ausgeliefert werden?«
    Ich hatte, wie man sich erinnern wird, beschlossen, offen mit dem Kommandanten zu reden, um herauszubekommen, ob die Franzosen uns wirklich ausliefern wollten oder nicht. Der Ausgang dieser Unterredung sollte darüber entscheiden, ob ich blieb oder ob ich mich davonmachte.
    Der Kommandant empfing mich im Wirtschaftsgebäude, in einem Raum, der ehemals als Speisezimmer gedient haben mochte. Verblaßte, ramponierte Fresken, Obst und Geflügel darstellend, liefen die Wände entlang. Der ziemlich große Saal war voll von Tischen, an denen Schreibersoldaten arbeiteten, und das Geklapper der Schreibmaschinen störte mich. Leicht war die Aufgabe sowieso nicht, die ich mir gestellt hatte. Es galt, in vorsichtigen Andeutungen in einer fremden Sprache über ein heikles Thema zu sprechen, und es hing viel von der Geschicklichkeit ab, mit der ich die Unterredung führte.
    Der Kommandant hörte mich mit höflicher Reserviertheit an. Schon während ich sprach, merkte ich an seiner Miene, daß er nur damit beschäftigt war, eine Antwort zu ersinnen, die Teilnahme beweisen und ihn gleichzeitig zu nichts verpflichten sollte. Als ich zu Ende war, hatte auch er seine Antwort fertig. Es war ein gänzlich unverbindliches Einerseits-Andrerseits. Zuerst setzte er lange auseinander, daß wir jetzt im Grunde gar keine Internierten mehr seien. Wir seien hier versammelt lediglich, um regulär entlassen zu werden, genauso wie jetzt die französischen Militärverbände demobilisiert würden. Man könnte nicht Hunderttausende Menschen alle auf einmal nach Hause schicken. Das müsse sorgfältig organisiert werden, sonst würde das Transportwesen und die Lebensmittelversorgung völlig lahmgelegt. Auch uns werde man in absehbarer Zeit nach Hause schicken, vermutlich sogar sehr bald; doch Geduld müßten wir haben. Diejenigen von uns, die sich während der Fahrt verdrückt hatten, und diejenigen, die jetzt versuchten, sich davonzumachen, begingen einen schweren Fehler. Wer nicht im Besitz eines

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