Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

München, zurück zu Marie? Was hält dich hier? Warum scheißt du nicht auf ihn und auf Piel und auf all die Spinner hier und fährst zurück, zurück, zurück?
    Er fuhr sich mit der Zunge über die aufgerissenen Lippen.
    Nichts hält mich. Nicht s. Ich könnte jederzeit fahren.
    Dann tu es! Verschwinde von hier.
    Er schüttelte den Kopf.
    Die Hoffnung hält dich hier, nicht wahr? Ein winziges Fünkchen Hoffnung, dass der Pfarrer in dir zum Erglühen brachte, als er dir ein Datum nannte. Die Nacht der Bombe. Die Nacht, in der ein Flugzeug über dem Eis abgestürzt ist.
    Und wenn es so wäre?
    Du wirst ihn nicht finden.
    Vater? Er lauschte auf die Stimmen des Gletschers, lauschte auf die Stimme seines Vaters, doch sie blieben stumm.
    Vater! Bist du hier?
    „Herr Strauss, geht es Ihnen nicht gut?“ Gutenberg berührte ihn am Arm.
    Erik blickte erschrocken auf. Er blinzelte, um den Schleier von seinen Augen zu wischen. „Was?“
    „Sie führen Selbstgespräche! Eine schlechte Angewohnheit. Sie sollten darauf achten, vor allem in Gesellschaft.“
    „Verzeihen Sie.“ Erik sah sich benommen um. „Ich war wohl kurz weg.“ Er schüttelte den Kopf. „Es war alles ein bisschen viel in letzter Zeit.“
    Wagner und Gutenberg musterten ihn skeptisch.
    „Ist Ihnen eingefallen, warum zur Hölle Sie hier nicht weg können?“, fragte Gutenberg schließlich. „Wenn ich Ihr Gemurmel richtig gedeutet habe, spielt Ihr Herr Vater eine nicht unwesentliche Rolle.“ Er trank von seinem Weinbrand und fixierte Erik über den Glasrand hinweg.
    Erik lehnte sich zurück. Ihm war heiß. Sein verstümmeltes Ohr pochte unter dem Verband. „Haben Sie von dem Flugzeug gehört, das 1944 über dem Gletscher abgestürzt sein soll?“ Er sah erwartungsvoll von Gutenberg zu Wagner. „In der Nacht auf den 19. April 1944, um genau zu sein?“
    Gutenberg schüttelte stumm den Kopf. Aber Karl Wagner nickte langsam und bedächtig. „Ich erinnere mich.“
    Eriks Herz schlug plötzlich schneller. „Erzählen Sie!“
    Wagner trank einen Schluck von seinem Weinbrand. „Ich weiß zwar nicht, was das Thema mit unserer Unterhaltung zu tun hat, und ich weiß das genaue Datum nicht mehr, aber in jener Nacht, an die ich mich erinnere, flog eine deutsche Bomberstaffel über Bruch hinweg, und dann über den Gletscher und das Gebirge, wahrscheinlich bis nach Norditalien. Was an und für sich nichts Ungewöhnliches war, denn während des Krieges sahen wir regelmäßig die Bomber am Himmel. Wir lagen auf der regulären Nord-Süd-Route.“ Er räusperte sich. Sein silbernes Haar leuchtete rötlich im Schein des Kaminfeuers. „Ich hatte seit Mitternacht kein Auge mehr zugetan, weil ein heftiger Gewittersturm tobte. Umgestürzte Bäume, abgedeckte Dächer, geflutete Keller, das ganze Programm.“ Er gestikulierte, um seine Worte zu unterstreichen. Er war der geborene Geschichtenerzähler. „In der Nähe brannte eine Scheune ab, in die der Blitz eingeschlagen hatte. Ich stand am Fenster und sah den Schein des Feuers, und ich hörte das Schreien der eingeschlossenen Tiere sogar über den Sturm hinweg. Ich wollte gerade hinunterlaufen, um zu helfen, als die Flugzeuge auftauchten. Es waren sieben oder acht Stück, eine kleine Staffel, und sie flogen dicht unter der Wolkendecke. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, warum sie mitten durch den Sturm flogen. Ob man sie nicht gewarnt hatte oder ob ihre Instrumente kaputt waren oder etwas in der Art. Und dann schlug der Blitz in die erste Maschine ein. Ich schwöre, ich hörte, wie der Motor absoff!“ Wagner trank einen Schluck von seinem Weinbrand. „Das Flugzeug begann sofort zu sinken. Die anderen flogen weiter, aber was sollten sie auch tun? Die getroffene Maschine blieb immer weiter zurück, und dann segelte sie über mich hinweg, ganz still. Ich hörte nur den Regen und das Grollen des Gewitters und das Schreien der Tiere in der Scheune. Die Maschine flog noch immer sehr hoch, an die zweitausend Meter. Nur ein kleines, silbernes, stummes Spielzeug am Himmel. Aber sie sank, das sah man, und ich dachte noch: Das schafft der niemals über den Gletscher! Wenn er jetzt nicht umkehrt und auf irgendeinem Acker notlandet, dann war’s das. Aber er kehrte nicht um.“ Für eine Weile saß Wagner reglos da, versunken in seine Erinnerungen. „Er blieb ganz stur auf seiner Route. Ich sah ihm hinterher, bis er hinter dem Steinwaldhorn verschwand.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob er es über den