Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Gletscher geschafft hat. Ich bin nach unten gelaufen, um in der Scheune zu helfen. Aber da gab es nicht mehr viel zu tun.“
„Ihre Geschichte passt haargenau zu dem, was der Pfarrer mir erzählt hat!“, rief Erik.
Wagner hob eine Hand. „Ich war noch nicht ganz fertig.“
Erik bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, fortzufahren.
„Als ich hinunterlief, begann die Erde unter meinen Füßen zu beben. Alles zitterte und schwankte, und ich klammerte mich ans Treppengeländer, um nicht zu stürzen. Und dann dieses Donnern ...“ Er schloss die Augen. „Da war ein tiefes Grollen und Rumpeln, das man nicht nur hörte, sondern auch fühlte. Ich fühlte es bis in meine Brustwarzen, so wahr mir Gott helfe. Es war, als würde der Tod an deinem Haus rütteln. Wenn die Wände Risse bekommen und die ersten Schindeln am Fenster vorbeifliegen, dann weißt du, dass es an der Zeit ist, zu gehen.“ Er lachte trocken auf und trank einen weiteren Schluck. „Was denken Sie, Herr Strauss? Sprechen wir über dieselbe Nacht?“
„Der Pfarrer hat mir eine ganz ähnliche Geschichte erzählt. Nur hatte er das Flugzeug länger im Blick. Der Pilot warf seine Bombe ab, bevor er den Gletscher erreichte, um bei der Notlandung kein Risiko einzugehen. Sie stürzte auf den Pfarrhof von Thannsüß. Man kann noch heute sehen, wo sie eingeschlagen ist. Das Flugzeug kam angeblich auf dem Gletscher runter, aber man hat die Maschine nie gefunden. Vielleicht konnte der Pilot noch durchstarten.“
„Ich kenne den schwarzen Fleck auf dem Pfarrhof“, sagte Gutenberg tonlos. „Das soll eine Bombe angerichtet haben? Schwer vorstellbar.“
Wagner nickte. „Auch ich kenne die Stelle. Es stinkt dort nach Schwefel, ist Ihnen das aufgefallen? ‚Das Scheißhaus des Teufels’, so haben wir den Fleck früher genannt.“
„Was interessiert Sie so an dem Flugzeug?“ Gutenberg nippte an seinem Weinbrand.
„Ich interessiere mich weniger für das Flugzeug“, sagte Erik, „als vielmehr für den Piloten.“ Er atmete tief durch. „Er war mein Vater.“
Kapitel 3 1
Gutenberg stand auf und warf einige Scheite ins Feuer. Dann drehte er sich zu Erik um. „Das ist absurd!“
„Mein Vater war Jagdbomber-Pilot. Und er ist im April 1944 spurlos verschwunden. Im Mai erhielt meine Mutter den Brief, in dem stand, dass er im Einsatz verschollen sei.“
„Aha. Ich möchte Ihre Hoffnung nicht schmälern, Herr Strauss, aber ich denke, man kann mit Gewissheit annehmen, dass zu dieser Zeit Monat für Monat Dutzende Piloten im Einsatz verschollen sind. Es war Krieg!“ Gutenberg setzte sich und starrte in die Flammen. „Und selbst wenn es sich tatsächlich um Ihren Vater handelte, was erhoffen Sie sich davon? Das Ganze ist vor mehr als zwölf Jahren passiert. Überlegen Sie mal. Zwölf Jahre! Das Flugzeug, oder vielmehr das, was von ihm übrig ist, liegt unter Metern von Eis begraben, unerreichbar! Wenn es überhaupt dort oben liegt.“
„Und wenn es in eine Spalte gestürzt ist?“
Gutenberg schob seine Brille mit dem Zeigefinger hoch. „Sie dürfen sich den Gletscher nicht als ein statisches Gebilde vorstellen. Er ist immer in Bewegung, schmilzt und wächst und wandert. Er verändert sich ständig. Spalten schließen sich, neue Spalten tun sich auf. Tag für Tag! Der Gletscher von heute ist nicht der Gletscher von vor zwölf Jahren.“
Erik schluckte. „Es ist nur ein Gefühl. Aber es ist so stark! Es verfolgt mich bis in meine Träume. Ich stand meinem Vater nie sehr nahe, aber seit ich in Thannsüß bin, habe ich das Gefühl, dass er mir näher ist als jemals zuvor. Ich habe seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht. Bis er plötzlich in meinem Kopf auftauchte.“
Wagner beugte sich nach vorn. „Es gibt Mittel und Wege, herauszufinden, ob der Pilot Ihr Vater war. Haben Sie selbst denn keine Recherchen angestrengt?“
Erik massierte sich die Schläfen. „Zu jener Zeit musste ich mich um meine Mutter kümmern. Die Nachricht vom Verschwinden meines Vaters hat sie schwer getroffen. Ein Jahr darauf starb mein jüngerer Bruder, ich selbst wurde verwundet.“ Er lächelte traurig. „Und ein paar Tage später war der Krieg vorbei. Das Leben ging weiter. Nur meiner Mutter ging es zusehends schlechter. Sie zog sich immer weiter in ihr Schneckenhaus zurück. Fünf Jahre hat sie auf meinen Vater gewartet. Und dann ist sie eines Tages vor Kummer gestorben.“ Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. „Wie ich bereits sagte, ich stand meinem
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