Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
der Untergrund verflüssigte sich zu einem zähen Gemisch aus Dreck und Wasser. Erik versank bis zu den Knöcheln im Schlamm. Er blickte nervös nach links und nach rechts, während er die verfallen en Häuser passierte.
Eine plötzliche Windböe packte eine offen stehende Tür und schlug sie gegen eine Hauswand. Kaltes Wasser floss in seine Schuhe, während er dem gleichmäßigen Klopfen durch die Ruinen folgte. Bald hatte er das andere Ende des kleinen Dorfes erreicht. Er stand vor der Felswand des Großen Kirchners, und als er das Klopfen erneut vernahm, wusste er plötzlich, woher es kam. Seine Augen richteten sich auf den Eingang des alten Bergwerksstollens. Der Stollen riss die Flanke des Berges auf wie eine tiefe und uralte Wunde. Die Dunkelheit darin wirkte so dicht, als könnte man darin ertrinken wie in einem schwarzen, stillen See. Eine kalte Hand strich Eriks Wirbelsäule entlang. Ein Luftstrom wehte aus der Finsternis des Stollens hervor und trug das Klopfen mit sich. Dreimal erklang es, und es klang wie Stein auf Holz. Oder wie ein Huf, der auf Fels tritt , dachte Erik.
Er schüttelte den Schauer ab, der plötzlich über ihn gekommen war, und ging zögernd auf den Eingang zu. Ihm war, als würde der Schlamm nach ihm greifen, als wollte er ihn festhalten. Vor dem Stolleneingang blieb er stehen. Sein Mund war trocken. „Hallo!“, wollte er rufen, aber er brachte nur ein heiseres Krächzen zustande. „Ist jemand hier?“, flüsterte er.
Anstelle einer Antwort erklang das Klopfen lauter als zuvor. Die Hände in seinen Taschen verkrampften sich, bis seine Fingernägel ihm in die Handballen schnitten. Für eine Weile stand er reglos, zögernd, abwartend, und rang mit sich selbst. Schließlich siegte seine Neugier über seine Angst, und er betrat den Stollen.
Mit jedem Schritt schwoll die Dunkelheit um ihn herum an wie Salzwasser, das durch die geborstene Hülle in den Rumpf eines sinkenden Schiffes hereinbricht. Erik blieb stehen, um seine Augen an die Finsternis zu gewöhnen. Er blickte über die Schulter zurück. Das Tageslicht schien ihm fern und unwirklich. Der Luftstrom erzeugte einen hohlen Heulton im Inneren des Berges, den Erik mehr spürte als hörte. Er strich über sein Gesicht und schwoll langsam an und wieder ab, als würde der Berg atmen. Die Luft war kühl und roch nach Erde und Feuchtigkeit. Zu seiner Rechten hörte Erik das Tropfen von Wasser. Er öffnete die Augen und ging langsam vorwärts, setzte bewusst einen Fuß vor den anderen. Er konnte seine Umgebung jetzt schemenhaft wahrnehmen. An der Decke hatten sich an mehreren Stellen kleine Stalaktiten gebildet. Eisenbeschlagene Holzbalken stützten die Stollendecke. Rostige Carbidlampen hingen an den Streben. Das Holz war morsch und verfault, die Eisenbeschläge vom Rost zersetzt. Erik drückte mit dem Daumen gegen einen der Balken, und sein Finger versank darin wie in einem Stück Lehm. Wieder lauschte er. Das Klopfen war verstummt.
„Hallo?“ Seine Stimme hallte von den Wänden wider. Er ging vorsichtig weiter und tastete sich mit der rechten Hand an der Wand entlang. Aus dem Stollen vernahm er das Geräusch rieselnder Erde. Kleine Steine schlugen hallend auf dem Boden auf. Dann war es wieder still. Aber der Luftstrom schwoll mit einem Mal an, und aus dem Inneren des Berges brachte er eine Stimme mit sich, ein leises, tonloses Flüstern. Oder war es ein Lachen? Erik erschauerte.
„Wer ist da?“, fragte er und tat einen weiteren Schritt.
Aus der Dunkelheit vor ihm schälte sich eine Bretterwand. Der Weg war versperrt , der Stollen zugenagelt. Erik fuhr mit den Fingern über das Holz, und es fühlte sich weich und porös an. Durch die Spalten zwischen den Brettern blies kalt und drängend der Luftstrom aus den Eingeweiden des Großen Kirchners. Dann ertasteten Eriks Hände eine Metalltafel. Er holte sein Feuerzeug aus der Hosentasche. Die kleine Flamme zuckte und waberte unruhig im Luftzug. Das Schild war verrostet, aber er konnte die Beschriftung noch entziffern. „ACHTUNG“, stand dort in Großbuchstaben. „LEBENSGEFAHR! BETRETEN STRENGSTENS VERBOTEN!“
Erik drückte sein Gesicht gegen die Bretterwand und spähte durch eine der Spalten in die Dunkelheit dahinter. Er hielt die Flam me des Feuerzeugs an den Spalt.
Erik , sagte eine Stimme in seinem Kopf, so laut und klar als stünde der Sprecher direkt neben ihm. Und dann, für den Bruchteil einer Sekunde, bevor der Luftstrom fauchend die Flamme des Feuerzeugs ausblies,
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