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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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und Schreibzeug auf dem Schoß, ein Glas Wein neben sich auf dem Beistelltisch, während der Regen auf das Dach hämmerte und gegen die Scheiben prasselte. Er verließ das Gästehaus nur selten. Anna versorgte ihn reichlich mit Brot und Wein, Wurst, Schinken und Käse. Den Pfarrer bekam er während dieser Zeit gar nicht zu Gesicht. Aber er hörte sein Husten im Obergeschoss des Pfarrhauses.
    An den Aben den schrieb er Briefe an Marie.
    Von Zeit zu Zeit unternahm Erik kurze Spaziergänge durch das Dorf, über die Felder und in den Wald. Ein Teil von ihm hoffte, endlich auf eine weitere Spur von Piel zu stoßen. Aber er fand nichts. Die frische Luft und die atemberaubende Aussicht halfen ihm dabei, seine Schmerzen zu verdrängen. Sie halfen ihm auch dabei, die Ereignisse auf dem Gletscher, seine nagenden Zweifel und die konturlose Angst, die sein ständiger Begleiter geworden war, in den Hintergrund zu drängen. Er fragte sich, was Lothar über Piels Verschwinden und die fehlenden Kinder wusste, und er fragte sich, welch verzehrende Angst den Bürgermeister davon abhielt, auch nur darüber zu sprechen. Manchmal dachte er an Gutenberg und Wagner; er fragte sich, was Wagners Nachforschungen ergeben hätten. Jeden zweiten Tag telefonierte er mit Doktor Gutenberg unten im Tal, aber es gab keine Neuigkeiten für ihn, keinen Laborbefund des Knochens, keine Nachricht über seinen Vater. Und jeden Tag fragte er sich aufs Neue, ob dort oben im Eis, hoch auf dem Großen Kirchner, ein Flugzeug lag, und ob es das Flugzeug seines Vaters war. Er wahrte den Anschein von Normalität, obwohl er das Gefühl hatte, dass die Welt um ihn herum aus den Fugen geriet. Etwas braute sich zusammen, er spürte es.
     
    Einmal ging er hinunter zum verlassenen Bergarbeiterdorf, weil es der einzige Ort in Thannsüß und im Umland war, an dem er noch nicht nach Cornelius Piel gesucht hatte. Aber die verfallenen Hütten, zwischen denen sich riesige Pfützen gebildet hatten, die verrosteten Maschinen und der schwarz gähnende Eingang zum alten Stollen hatten eine so deprimierende Wirkung auf ihn, dass er auf dem Absatz kehrtmachte. Auf dem Rückweg zur Straße sah er Wasser zwischen den Bäumen glitzern. Er schob Zweige und Äste beiseite und ging langsam darauf zu. Vor ihm erstreckte sich eine Wasserfläche, die etwa doppelt so groß war wie der Marktplatz von Thannsüß. Das Wasser war schwarz wie Öl. Auf Eriks Seite befand sich der Waldboden auf gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel, aber das Ufer stieg links und rechts von ihm kontinuierlich an und erreichte auf der anderen Seite des Sees eine Höhe von nahezu fünf Metern. Der Wind rauschte durch die Tannen, der Regen schlug Kreise in die stille, schwarze Fläche. Eine Böe drückte das Wasser gegen das Ufer, und Erik trat einen Schritt zurück. Die Stollen unter dem See waren eingebrochen und hatten einen tiefen Krater in die Erde gerissen. Unter der stillen Oberfläche lauerten verborgene Strömungen, die selbst einen guten Schwimmer binnen Sekunden in die Tiefe reißen konnten. Ihn fröstelte, als er an die Kälte und die Dunkelheit dachte, in die die Stollen unter dem See hinabreichten. Er schlug den Kragen seines Mantels höher und ging zurück zum Pfad.
    Dann hörte er das Klopfen.
    Er blieb stehen. Der Wind strich durch die Tannen. Der Regen plätscherte auf die Zweige. Das Klopfen ertönte erneut. Es klang, als würde jemand einen Stein auf ein Stück Holz schlagen. Erik drehte sich um und sah in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Er stand reglos auf dem Pfad, die Schultern hochgezogen, die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, und suchte die Ruinen des Dorfes mit den Augen ab. Die eingesunkenen Dächer der Häuser waren mit Moos bewachsen. Leere Fensterrahmen gähnten wie dunkle Höhlen. Einige Mauern waren eingestürzt und gaben den Blick auf verwüstete Räume frei, in denen jetzt Wind und Regen wohnten. Steine und verrottende Bretter lagen im Schlamm. Der alte Förderturm thronte über den Ruinen wie ein Mahnmal der Vergänglichkeit. Die grüne Schutzlackierung blätterte in großen Flocken von ihm ab, und darunter fraß sich unerbittlich der Rost durch den Stahl wie ein brauner Pilz, der das Gewebe langsam zersetzt. Und dahinter war kein Himmel, war kein Licht, war nur die graue, steinerne Flanke des Großen Kirchners. Dann hörte Erik das Klopfen erneut. Er ging langsam darauf zu. „Ist da jemand?“, rief er.
    Der Pfad zu seinen Füßen wurde breiter, und

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