Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
hineinzugelangen. Das Problem ist nur: Der Weg hinein ist einfach. Der Weg heraus ist verdammt schwierig. Die Stollen sind wie ein Labyrinth.“ Er schniefte und betrachtete missmutig den grauen Himmel.
Erik wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels Schlamm aus dem Gesicht. Dann erhob er sich langsam.
„Vor einigen Monaten kam ein Mann in unser Dorf“, rief Konrad. „Sein Name war Cornelius Piel.“
Erik blieb reglos stehen. Der Name durchzuckte seinen Kopf wie ein Blitz. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben.
„Cornelius sollte nach und nach Thomas’ Aufgaben übernehmen und ihn schließlich als Pfarrer ablösen. Aber er schien von Anfang an nicht ganz bei der Sache zu sein. Der Gletscher hat eine seltsame Wirkung auf manche Menschen.“ Er sah Erik durchdringend an. „Ich schätze, Sie können das bestätigen.“ Konrad fuhr sich mit der Hand übers Gesicht , wischte den Regen fort. „Cornelius ist dann eines Tages einfach verschwunden. Wir haben lange nach ihm gesucht. Vergeblich. Aber aus der Absperrung im Stollen waren einige Bretter herausgerissen. Jetzt zählen Sie eins und eins zusammen, Lehrer.“
Als Erik nicht antwortet, fuhr er fort. „Er ist in den Berg gegangen und nicht mehr herausgekommen.“ Konrad lachte trocken. „Weiß der Teufel, was er dort gesucht hat.“
Konrad warf einen letzten Blick auf Erik. „ Da haben Sie Ihre Antworten, Mann. Jetzt gehen Sie endlich nach Hause.“ Dann verschwand er in der Dunkelheit des Stollens.
Erik blickte ihm stumm hinterher. Sein Mantel war völlig durchweicht, und noch immer prasselte der Regen auf ihn hinunter. Der kalte Wind blies ihm ins Gesicht. Für einen Moment hatte er das Gefühl, die Dunkelheit würde aus dem Eingang des Stollens hervorquellen wie schwarzer Rauch aus dem Fenster eines brennenden Hauses. Er unterdrückte die Panik, die erneut in ihm aufstieg.
Nach wenigen Minuten kehrte Konrad zurück. „Sie sind ja immer noch da“, sagte er. „Es ist alles in bester Ordnung.“ Er blieb nicht stehen und drehte sich kein einziges Mal um, während er durch die Ruinen davon stapfte.
„Aber ich weiß, was ich gehört habe!“, schrie Erik.
„Sie wissen einen Scheißdreck“, antwortete Konrad. Er spuckte aus. Dann hatte er die wenigen Häuser des Dorfes hinter sich gelassen und verschwand auf dem Pfad zwischen den Tannen, der zurück zur Hauptstraße führte.
Erik blickte ein letztes Mal zum Eingang des Stollens zurück. Er fühlte sich erschöpft und verwirrt. Irgendwann wandte er sich ab und folgte Konrads Fußspuren. Die Abdrücke füllten sich schnell mit Wasser. Bald würden sie völlig verschwunden sein.
Erik durchquerte das verlassene Dorf, so schnell der Morast es zuließ. Dann lief er den Pfad entlang bis zum Feldweg. Während er der Straße zurück nach Thannsüß folgte, bemerkte er plötzlich, dass er laut mit sich selbst sprach. Er verstummte und sah sich verstohlen um, aber er war allein.
Als er schließlich das Gästehaus erreichte, zog er die nasse Kleidung aus und entfachte ein Feuer im Kamin. Lange saß er auf dem Boden und starrte in die Flammen. Als sein Zittern endlich nachließ, stand er auf und schloss die Tür von innen ab. Auf dem Esstisch standen ein frischer Krug Wein und eine Karaffe Whiskey bereit, und Erik fragte sich kurz, warum er sich überhaupt die Mühe machte, die Tür abzuschließen. Er lachte bitter auf. Dann setzte er sich an den Esstisch und schrieb einen langen Brief an Marie, in dem er ihr einmal mehr sagte, dass sie nicht herkommen sollte. Er nannte keine Einzelheiten, sondern beschränkte sich auf die vage Andeutung, es hätten sich einige Probleme ergeben, und vermutlich würde er selbst bald wieder nach München zurückkehren. Er wusste nicht, ob es richtig war. Aber in diesem Moment fühlte es sich richtig an. Um nichts in der Welt wollte er Marie in Gefahr bringen. Während er schrieb, trank er den Wein, und danach trank er Whiskey, bis seine Angst so stumpf war, dass er endlich einschlafen konnte.
Kapitel 36
Am Montagmorgen, pünktlich um acht Uhr, betrat Erik den Klassenraum. Die Schüler waren alle anwesend. Er hatte ihr Kommen vom Gästehaus aus beobachtet. Er schloss die Tür hinter sich, trat vor die große Schiefertafel und ließ seinen Blick durchs Zimmer schweifen. „Guten Morgen“, sagte er schließlich. Sie starrten ihn wortlos an. Er wartete eine Weile, ob sie sich zu einer Antwort durchringen würden, doch es blieb still. Er stellte seine Schultasche auf dem Boden
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