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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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verborgen. Schließlich blickte sie auf. „Mein Vater sagt, Sie sind nicht ganz richtig im Kopf.“
    Erik griff mit der Hand nach dem Lehrerpult und stützte sich darauf ab. Das Gewicht auf seinen Schultern war mit einem Mal so schwer, dass es ihn fast zu Boden drückte. Er schloss für einen Moment die Augen.
     
    Nachdem er in der Küche ein Glas Wasser getrunken hatte, fühlte er sich etwas besser. Er kehrte in den Klassenraum zurück und blickte in erwartungsvolle Gesichter. Er setzte sich hinter das Lehrerpult. Dann holte er langsam sein Deutschbuch aus der Schultasche und blätterte es auf. Er wartete, bis das Gemurmel der Schüler verstummt war.
    „Die Fragestunde ist hiermit beendet“, sagte er. Er verteilte die Deutschbücher und ließ die Schüler bis zum Mittag selbstständig arbeiten. Er schritt die Reihen ab, schaute ihnen über die Schulter und beantwortete gelegentliche Fragen. Sein Geisteszustand wurde nicht mehr thematisiert, und dafür war er sehr dankbar.
     
    Als er die Schüler Punkt 13 Uhr in die Freiheit entließ, fühlte er sich müde und ausgelaugt. Aber trotz seiner inneren Anspannung und der Anstrengung, die es ihn kostete, den Anschein von Normalität zu wahren, fühlte er sich auf eine seltsame Art und Weise zufrieden. Er hatte seine Arbeit gemacht, die Arbeit, für die er hierhergekommen war, und bis auf den katastrophalen Einstieg hatte er sie gut gemacht. Nach dem Unterreicht gab er den Brief an Marie auf dem Postamt auf, und es gelang ihm sogar, Kathis furchtbares Lächeln zu erwidern.
     
    Die Schüler zeigten sich die gesamte Woche über von ihrer besten Seite. Sie schienen sich nach und nach an ihn zu gewöhnen, arbeiteten eifrig mit und erledigten ihre Hausaufgaben ohne zu murren. Das Gefühl der Zufriedenheit wuchs und verfestigte sich. Er dachte nur wenig an Gutenberg und Wagner, obwohl er den Doktor jeden zweiten Tag per Telefon kontaktierte, und bisweilen gelang es ihm sogar, all die merkwürdigen Vorkommnisse zu vergessen und den Gedanken an die verschwundenen Kinder aus seinem Kopf zu verdrängen. Manchmal aß er mit Anna und dem Pfarrer zu Abend, aber meistens nahm er die Mahlzeiten alleine ein. Er trank viel Rotwein zum Essen, und wenn später der Herbstwind ums Haus heulte und die Stimmen vom Gletscher heruntertrug, trank er Whiskey, bis sie verstummten.
    Die Woche verging wie im Flug. Am Samstag nach dem Unterricht stand er vor dem Spiegel und begutachtete noch einmal die Wunde an seinem Ohr. Sie war fast verheilt. Auch die Prellungen an seinem Körper waren größtenteils abgeheilt. Sein Bart war deutlich gewachsen. Endlich sah er so aus, als sei er wirklich ein Teil von ihm. In seinem Bein vernahm er das dumpfe Pochen wieder, und er wusste, dass der Winter kam.
     
    Eines Abends, als die Dunkelheit bereits hereingebrochen war und Erik vor dem Kamin saß und versuchte seine Anspannung zu betäuben, flog plötzlich die Tür des Gästehauses auf, und Lothar taumelte ins Zimmer. Er war durchweicht vom Regen und völlig betrunken und schwankte nach links und rechts wie der Zeiger eines Metronoms. Erik sprang auf und stützte ihn. Dann schloss er die Tür, um den kalten Wind und den Regen auszusperren. Er führte Lothar zu einem der Stühle neben dem Esstisch, aber Lothar riss sich los. Er stand im Zimmer, die Arme vor sich ausgestreckt, und versuchte sein Gleichgewicht zu halten. Seine Augen waren rot und verquollen. Sein Blick zuckte hektisch durchs Gästehaus. Die Perücke hing wie ein nasser Lappen über seinem Schädel. Lothar wirkte völlig aufgelöst.
    „Ihre Fragen!“, rief er und lallte dabei so stark, dass Erik Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Ihre verdammten Fragen, Strauss!“
    „Beruhigen Sie sich erst mal, Lothar.“
    „Nein, zur Hölle! Ich will ...“
    „Was ist los?“
    „Ihre verdammten Fragen ...“ Lothar stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. „Es gibt Antworten, nicht wahr? Antworten!“
    Erik trat einen Schritt auf ihn zu. „Dann sagen Sie mir, was Sie wissen.“
    Lothar taumelte rückwärts und wischte einige Gläser vom Tisch. Gegen die Tür gelehnt hielt er schwer atmend inne.
    „Ihre Antworten ... ich kann sie Ihnen nicht geben. Nicht so. Ich habe geschworen ...“, er hob einen Zeigefinger, „geschworen, dass ich keinem Menschen etwas sage. Dass ich niemals ...“, er stieß auf, und ein stinkender Schwall Schnapsgeruch waberte an Eriks Gesicht vorbei, „auch nur ein Wort sage.“
    „Was wollen Sie dann

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