Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Ihre Hand streichelte seinen Nacken.
Er schlang seine Arme um sie und drückte sie an sich.
Sie schob eine Hand unter sein Kinn und hob seinen Kopf zärtlich in die Höhe. „Zeig mir dein Ohr. Welches ist es?“
Er senkte den Blick und schob sein Haar über dem linken Ohr zur Seite.
„Mein armer Liebling.“ Sie strich mit dem Finger über das verletzte Ohr. Sie war sehr vorsichtig. „Es ist gar nicht so schlimm, wie ich dachte.“
„Wirklich nicht?“
„Man sieht es ja kaum. Ich dachte, du siehst aus wie van Gogh.“ Sie lachte kurz auf.
„Van Gogh? Aber er hat sich das Ohr selbst abgeschnitten. Das ganze Ohr. Das ist etwas anderes.“
„Zum Glück fehlt bei deinem Ohr nur ein kleines Stück. Und zum Glück hast du es dir nicht selbst abgeschnitten. Das wäre völlig verrückt! Zum Glück bist du nicht verrückt.“
„Jetzt geht es mir besser, weil du hier bist. Davor hatte ich Angst, verrückt zu werden.“
„Aber warum denn nur?“ Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Handflächen, und er legte es hinein wie in eine warme, weiche Schale. „Erik, was ist los?“
„Dieser Ort macht mich verrückt. Ich habe Angst.“
„Jetzt musst du keine Angst mehr haben. Ich werde dich beschützen.“
Erik hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Er seufzte und presste seinen Kopf an ihren Bauch. Sie schlug die Bettdecke zurück und klopfte mit der Hand auf die Matratze. „Komm her, kleiner van Gogh. Ich weiß etwas, das dich ganz bestimmt verrückt machen wird.“
Später lief er ins Pfarrhaus hinüber. Der frisch gefallene Pulverschnee lag inzwischen mindestens fünfzehn Zentimeter hoch, und er fühlte sich herrlich unter seinen nackten Füßen an. Schneeflocken umtanzten den Lichtschein seiner Petroleumlampe wie Schmetterlinge. Die Fenster des Pfarrhauses waren dunkel, und als er die Eingangstür aufriss, war alles still bis auf das Ticken der Uhren. Er lief durch den Flur und durch die Eingangshalle in die Bibliothek. Er ging direkt auf die Kommode zu, auf der das Grammophon stand. Er klappte den Trichter ein und schloss den Deckel, zog einige Schallplatten aus dem Regal neben der Kommode und hob das Grammophon hoch. Dann lief er über den Hof zurück ins Gästehaus. Er stellte das Grammophon auf dem Esstisch ab.
„Was hast du da?“ Marie setzte sich im Bett auf.
„Es wird dir gefallen“, sagte Erik. Mit zitternden Fingern klappte er den Deckel des Grammophons auf.
Marie klatschte in die Hände. „Ein Grammophon! Wie wundervoll! Was wollen wir hören?“
„Such dir etwas aus.“ Erik reichte ihr die Schallplatten. Während sie die Titel las und ab und zu ein entzücktes Lachen hören ließ, zog Erik das Grammophon mit der Kurbel an der Rückseite auf.
„Helmut Zacharias!“, rief Marie. „Teddy Stauffer, James Kok und Erwin Lehn! Porter und Ellington! Woher hast du die?“
„Der Pfarrer hat sie mir geborgt.“
„Ich kann mich gar nicht entscheiden! Such du etwas aus.“
„Schön.“ Er nahm die Platten und sah sie der Reihe nach durch. Er entschied sich für Glenn Miller. Als die ersten Akkorde der ‚Moonlight Serenade’ erklangen, lächelte Marie. „Schön, dass du dich dafür entschieden hast.“
Er trat zu ihr ans Bett. „Darf ich bitten?“
„In Unterwäsche?“
„Möchtest du sie ausziehen?“
Als sie lachte, glitzerten ihre Augen so wunderbar, dass Erik sich zu ihr hinunterbeugen und sie küssen musste. Sie schlug die Decke zurück und ergriff seine Hand. „Nicht ausziehen“, sagte sie, stand auf und schmiegte sich an ihn. „Sonst wird das nichts mit dem Tanzen.“
Sie tanzten so eng und hielten sich so fest, als wollten sie sich nie wieder voneinander lösen. Wenn eine Platte zu Ende war, legte Erik die nächste auf, und als sie alle Platten gehört hatten, tanzten sie in der Stille weiter. Begleitet vom Prasseln der Flammen im Kamin war nur das Heulen des Windes ihr Orchester, und ihr Herzschlag war der Rhythmus, in dem sie sich wiegten.
„Ich liebe dich“, sagte Marie, und ihr warmer Atem an seinem Ohr schickte Schauer über seinen Körper.
„Ich liebe dich“, sagte er, und mit einem Mal liefen ihm Tränen übers Gesicht.
Dann liebten sie sich noch einmal.
Den nächsten Tag verbrachten sie im Bett und standen nur auf, um eine Kleinigkeit zu essen. Aber als die Dunkelheit hereinbrach, kam eine solche Unruhe über Erik, dass er nicht länger liegen bleiben konnte. Die Stimmen in seinem Kopf wurden lauter und lauter, bis er schließlich seine eigene
Weitere Kostenlose Bücher