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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt. Sein Winseln steigerte sich zu einem hohen Heulen. Die nächste Schaufel Erde traf Konrad im Gesicht. Sie landete auf seiner Stirn, in seinen Augen, in seinem Mund. Er würgte und hustete.
    Erik spürte heiße Tränen über seine Wangen laufen, aber er schaufelte weiter. Er schaufelte, bis die Erde neben dem Grab beinahe aufgebraucht war.
    Und dann war auch Konrads Winseln verstummt. Das Loch war bis zum Rand gefüllt. Für eine Weile zuckte noch etwas unter der Erde. Dann lag es still.
     
    Mit den Füßen schoben sie Schnee über die aufgewühlte Erde, bis das frische Grab unter einer weißen Schicht verschwunden war.
    „Das genügt“, sagte Wrede. „Es wird noch eine Weile schneien. Kein Mensch wird ihn hier finden.“
    „Werden sie nach ihm suchen?“
    „In ein paar Tagen vielleicht.“
    „Sie werden Fragen stellen.“
    „Er ist auf den Gletscher gegangen. Ich habe es gesehen. Menschen verschwinden dort oben. So war es immer schon.“
    Wrede steckte sich zwei Finger zwischen die Lippen und ließ einen grellen Pfiff ertönen. Lucy kam schwanzwedelnd angelaufen und sah zu ihm auf. „Gehen wir“, sagte Wrede.
    Dann machten sie sich auf den langen Rückweg durch die Kälte und den Schnee und die Dunkelheit. Erik presste Marie fest an sich, aber sie entzog sich seinem Griff. Sie liefen schweigend durch die fallenden Flocken. Xaver Wrede ging ein Stück voraus. Er drehte sich nicht um, um sich zu vergewissern, dass sie noch da waren. Er lief einfach immer weiter. Und sie folgten ihm.
     
    „Xaver“, rief Erik schließlich. „Warten Sie.“
    Wrede atmete tief durch und wartete, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatten.
    „Sie haben mir das Leben gerettet“, sagte Erik. „Warum haben Sie das getan? Ich möchte eine Antwort.“
    Wrede setzte seinen Weg fort. „Sie haben mein Leben gerettet. Ich habe Ihres gerettet. Wir sind quitt.“
    „Aber das sind wir nicht!“
    Wrede seufzte und wandte sich zu Erik um. Weiß floh sein Atem aus seinem Mund. „Hören Sie zu, denn ich werde Ihnen das nur ein einziges Mal sagen.“ Er sah zu Boden, so als würde er sich sammeln. Dann blickte er auf. „Als Sie auf dem Gletscher waren, da hielten wir Sie für tot. Als Sie dann am dritten Tag zurückkehrten, war der Pfarrer plötzlich überzeugt davon, dass wir Sie noch brauchen würden. Er sagte, er wisse jetzt, dass Sie wichtig für das Dorf seien. Sie und Ihre Frau. Er hielt Ihre Rückkehr für eine Art Zeichen.“
    „Meine Rückkehr verdanke ich Ihnen.“ Er legte Wrede eine Hand auf die Schulter. „Und heute haben Sie mir zum zweiten Mal das Leben gerettet.“
    Wrede schüttelte Eriks Hand ab und senkte erneut den Kopf. Lange sprach er kein Wort. „Ich weiß, dass Sie das glauben“, sagte er schließlich leise. Schneeflocken umtanzten ihn wie sterbende Schmetterlinge und fielen lautlos zu Boden.
    Erik sah, dass Wrede einen inneren Kampf ausfocht. „Sie haben mir das Seil in die Spalte hinuntergeworfen“, sagte er.
    „Nein.“ Wrede hob den Blick. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme leise und drohend wie das Grollen eines aufziehenden Gewitters. „Ich habe Ihnen kein Seil zugeworfen. Ich habe Sie dort oben zum Sterben zurückgelassen.“
    Etwas Kaltes und Finsteres packte Eriks Herz. Es war kälter als das Eis unter ihren Füßen, dunkler als die Nacht, die sie umgab.
    „Wenn Sie nicht von selbst gestürzt wären“, sagte Wrede, „hätte ich Sie gestoßen.“
    Erik wich vor ihm zurück. „Warum?“, flüsterte er.
    „Ich denke, das wissen Sie.“
    Erik schüttelte den Kopf.
    „Sie haben Dinge ans Licht gezerrt, die besser im Dunkeln geblieben wären.“ Wredes Adamsapfel hüpfte auf und ab. „Aber dann sind Sie vom Gletscher zurückgekehrt. Die Situation hat sich geändert. Der Pfarrer will, dass Sie leben.“
    „Aber warum?“, schrie Erik. „Was zur Hölle geht hier vor?“
    Wrede warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück, hinunter in die Dunkelheit unter den Tannen, wo ein frisches Grab unter einer Schicht Neuschnee verschwand. „Sie haben mein Leben gerettet“, sagte er. „Heute Nacht habe ich Ihres gerettet. Ich bin Ihnen nichts mehr schuldig, Lehrer. Vergessen Sie das nicht.“ Dann lief er weiter. Bald war seine massige Gestalt im Schneetreiben verschwunden.
    Erik vergrub sein Gesicht an Maries Schulter. Sein Inneres fühlte sich an als würde es zerreißen. Marie strich mit kalten Fingern über seinen Nacken. Dann drückte sie ihn an

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