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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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Bombe bei einem Absturz oder einer harten Landung explodiert. Deshalb warf er sie einfach ab. Dann zog er die Maschine hoch, er schaffte es gerade noch über die Kante des Gletschers. Das war das Letzte, was wir von dem Flugzeug sahen. Und hier“, er deutete mit dem Stock auf das Zentrum des schwarzen Flecks, „genau hier kam die Bombe runter. Hat einen ganz schönen Krater gerissen, das Miststück. Alles war voll von Feuer und Rauch, als würde die Erde selbst brennen.“ Er verstummte und sah Erik direkt in die Augen. Dann nickte er, wie um sich die Geschichte selbst zu bestätigen. „Ja, so war das in jener Nacht.“ Er starrte nachdenklich auf den schwarzen Fleck.
    Für eine Weile schwiegen sie beide und betrachteten das Brandmal, das den Kirchplatz verunstaltete wie eine alte Verletzung, die einfach nicht heilen wollte. Dann fragte Erik: „Was wurde aus dem Piloten? Und was aus dem Flugzeug? Hat man es gefunden?“
    Der Pfarrer schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben es niemals gefunden. Wir schickten mehrere Suchtrupps auf den Gletscher, ich selbst leitete einen davon. Wir haben keine Spur der Maschine gefunden. Keine Trümmer, kein einziges Metallteil, nichts. Es war, als hätte der Gletscher das Flugzeug verschluckt. Wer weiß, vielleicht konnte der Pilot durchstarten. Vielleicht hat er es im letzten Moment geschafft, seine Motoren neu zu zünden.“ Plötzlich lachte der Pfarrer, und es war, als würde ein dunkler Schatten von seinen gekrümmten Schultern weichen. Er richtete sich auf und streckte sein Kreuz durch. „Aber das alles ist längst Vergangenheit. Ich will Sie nicht langweilen. Das war unser Teil vom Krieg, und der Krieg ist Geschichte. Wir können von Glück sagen, dass wir nicht mehr abbekommen haben.“
    Erik nickte. „Wann, sagten Sie, war das? Die Nacht, in der die Bombe runterkam, meine ich.“
    Der Pfarrer warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Es war die Nacht auf den 19. April 1944. Warum?“
    Ein seltsames Gefühl war über Erik gekommen. Es war ein Gefühl, als liefe er über einen zugefrorenen See und bemerkte plötzlich zu seinen Füßen einen Riss im Eis, der sich mit jedem Schritt knackend ausbreitete. Wie kann das sein? , flüsterte eine Stimme in ihm. Ist das ein Scherz? Ein bizarrer Zufall?
    Er drängte die Gedankenfetzen, die in seinem Geist aufstiegen wie Blasen aus tiefem schwarzem Wasser, zurück in die Dunkelheit. Aber etwas hatte in seinem Kopf zu ticken begonnen, etwas, das er noch nicht richtig einordnen konnte. Es tickte unüberhörbar laut in einem dunklen Winkel seines Verstandes, tickte wie eine Uhr, die rückwärts lief. Und während der Zeiger schneller und schneller die Zeit vom Ziffernblatt wischte, pulsierte ein Datum mit jedem Herzschlag heftiger in Eriks Hirn: der 19. April 1944.
    Er sprach die Worte aus, noch ehe er sie gedacht hatte: „Ich will auf den Gletscher.“
    Der Pfarrer sah ihn erstaunt an. Dann schüttelte er den Kopf. „Davon rate ich ab.“ Die Spitze seines Stocks wanderte die steile Flanke des Berges hinauf, bis sie auf den weiß leuchtenden Eismassen Hunderte Meter über dem Ort verharrte. Eriks Augen folgten ihr. Der Gletscher strahlte weiß und wunderschön im Sonnenlicht.
    „Dort oben“, sagte Thomas Hellermann schließlich, „gibt es Risse und Spalten, die einen unvorsichtigen Wanderer einfach verschlucken können. Das Eis ist trügerisch. Heftige Windböen können einen Mann von den Füßen reißen. Das Wetter schlägt schneller um, als Sie eine Glühbirne anknipsen können, und wenn ein Sturm Sie dort oben erwischt, sind Sie verloren.“ Der Pfarrer musterte ihn von der Seite. „Warum wollen Sie plötzlich dort hoch? Habe ich etwas gesagt, das diesen Wunsch in Ihnen geweckt hat?“
    Erik wandte den Blick vom Gletscher ab. Er schüttelte langsam den Kopf. „Vergessen Sie’s, Thomas.“ Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. „Es war nur ein Gedanke. Der Gletscher ist … faszinierend.“
    „Ich weiß.“ Thomas Hellermann sah ihn lange an. „Faszinierend und gefährlich. Überlegen Sie sich gut, ob Sie ihm trauen wollen.“
    Erik nickte. Aber so sehr er sich auch bemühte, er schaffte es nicht, das Datum aus seinem Kopf zu verbannen, das der Pfarrer ihm genannt hatte. Die Nacht, in der ein deutscher Flieger seine Bombe über Thannsüß abgeworfen und über dem Grimboldgletscher verschollen war. Der 19. April 1944. Er starrte hoch zum Gletscher, und der Gletscher starrte unbewegt zurück.
    In diesem Augenblick fiel Erik

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