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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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einer nach dem anderen aus der Tür gestürzt. Benedikt hatte freies Schussfeld. Er hat sie alle erledigt. Mann für Mann. Dann ging er zum Stall und schloss die Tür auf, um uns rauszulassen. Die Tür ging auf, und da stand er im Schneetreiben, rot beleuchtet vom Schein der Flammen, und er sah aus wie ein Racheengel des Alten Testaments. Ich habe sein Bild vor Augen, als wäre das alles erst gestern passiert. Er wirkte ganz ruhig, aber sein Blick war vollkommen irre in jenem Moment. Dann warf er das Gewehr weg und lief noch einmal den ganzen Weg bis zum alten Bergwerk zurück, um seine Frau zu holen.“
    Als der Pfarrer Luft holte, rasselte sein Atem bedrohlich. „Die Soldaten haben wir auf dem Feld begraben, neben der alten Mühle. Wir haben sie in eine Grube geworfen und Erde über sie geschüttet. Und dort liegen sie noch heute.“
    „Er hat sie alle getötet?“, fragte Erik.
    „Er hat das Richtige getan, denken Sie nicht?“
    „Ich weiß es nicht. Zwanzig Männer ...“
    „Ihr Leben oder unser Leben, eine andere Alternative gab es nicht. Hätten Sie denn anders gehandelt?“
    Erik schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte.“
    „Das wahre Wesen eines Mannes zeigt sich in scheinbar ausweglosen Situationen, Erik. Aber die Frage, die Ihnen auf der Zunge brennt, ist doch diese: Darf man ein anderes Leben auslöschen, um das eigene zu retten? Und sagen Sie mir: Welcher ehrliche Mann würde diese Frage nicht ohne zu zögern mit ‚Ja’ beantworten?“
    „Glücklicherweise war ich noch nie in einer Situation, die eine Entscheidung in dieser Frage erzwungen hätte.“
    „Sind Sie da ganz sicher?“ Der Pfarrer lächelte ihn an, aber das Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. „Ein glücklicher Mann, dem diese Entscheidung erspart bleibt.“
    Für einen Moment gelang es Erik, den stechenden Blick des Pfarrers zu erwidern. Dann sah er beiseite . Er antwortete nicht.
     
    Sie folgten der Hauptstraße weiter bergan. Rechterhand erhob sich grau und mächtig der Gipfel des Großen Kirchners, aber auf der gegenüberliegenden Seite erstreckten sich weite Wiesen und Äcker und dahinter eine schwarze Wand aus Tannen. Wo der Schatten des Gipfels endete, tauchte die Sonne die Felder und Wiesen in intensiv leuchtende Farben. Während sie durch das Dorf gingen, beschlich Erik das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden. Er konnte das Starren fremder Augen in seinem Rücken spüren. Er hatte den Eindruck, dass sich in der Dunkelheit hinter den Fenstern schemenhafte Gestalten bewegten. Aber sobald er sich ihnen zuwandte, verschmolzen sie gänzlich mit den Schatten.
    Auf vielen Türen bemerkte er aufgemalte Kreuze. Die Farbe war braun und vertrocknet, und an manchen Stellen konnte man das frühere Rot noch erahnen. Erik war sich nicht sicher, ob es sich wirklich um Farbe handelte. Er versuchte das beklemmende Gefühl abzuschütteln, das über ihn gekommen war, und ließ seinen Blick über die Äcker von Thannsüß schweifen. Seine Gedanken kehrten zurück zu Benedikt Angerer und der Geschichte, die Thomas Hellermann ihm soeben erzählt hatte. Er hat sie alle erledigt. Mann für Mann , klang die Stimme des Pfarrers in seinem Kopf nach. Er fragte sich, warum der Alte ihm die Geschichte überhaupt erzählt hatte. Dann kam ihm der verwüstete Klassenraum wieder in den Sinn, und er fragte sich, was Marie wohl angesichts seines desolaten Zustands gesagt hätte. Aber wahrscheinlich hätte sie gar nichts gesagt. Wahrscheinlich hätte sie einfach gelacht und sich an die Arbeit gemacht.
    Die Stimme des Pfarrers riss ihn aus seinen Gedanken. „Erik, sehen Sie sich das an!“ Der Pfarrer hob die Spitze seines Stocks und deutete zwischen zwei Häusern hindurch auf ein abgeerntetes Weizenfeld. Auf dem Feld stand ein Mann, der einen Arm schützend vor sich ausgestreckt hielt. Ein riesiger Schäferhund rannte über die Stoppeln auf ihn zu, legte die Entfernung zwischen sich und dem Mann innerhalb weniger Sekunden zurück und sprang. Mit einem kraftvollen Stoß seiner Hinterläufe katapultierte der Hund sich in die Luft und schlug seine Kiefer in den abwehrend erhobenen Arm des Mannes. Der Mann taumelte einige Schritte nach hinten und kippte dann rücklings auf das Feld. Der Hund riss und zerrte an seinem Arm und schüttelte seinen Kopf dabei hin und her wie von Sinnen.
    Erik warf dem Pfarrer einen alarmierten Blick zu. Thomas Hellermann legte beschwichtigend eine Hand auf seinen Arm. Sein Lächeln

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