Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
ächzten protestierend unter seinem Gewicht. Als er den oberen Absatz fast erreicht hatte, knarrte eine Stufe so laut, dass er zusammenzuckte. Er drückte sich gegen die Wand und hielt den Atem an. Das Schnarchen war verstummt. Panik stieg in ihm auf. Was zur Hölle willst du hier? , schoss es ihm durch den Kopf. Bist du vollkommen verrückt geworden? Verschwinde! Hau ab, solange du noch kannst.
In diesem Moment setzten die Schnarchgeräusche wieder ein. Erik schloss erleichtert die Augen. Dann nahm er die letzten drei Stufen mit einem einzigen großen Schritt und ging zügig den Flur hinunter zu Mathildas Zimmer. Das Schnarchen in seinem Rücken erklang gleichmäßig und tief.
Er öffnete die Tür und trat ein. Im Zimmer war es eiskalt. Ein schwacher Essiggeruch hing in der Luft wie eine ferne, unangenehme Erinnerung. Erik zog leise die Tür hinter sich zu. Seine tastenden Finger fanden den Schlüssel und drehten ihn im Schloss herum. Die Bilder von Mathildas entstelltem Leichnam tauchten vor seinem inneren Auge auf, als würde ein Windstoß die Seiten eines Fotoalbums umblättern. Er atmete tief durch. Schließlich gelang es ihm, die furchtbaren Gedanken zurück in die Dunkelheit zu treiben. Er nahm die Lampe aus seiner Tasche und entzündete den Docht. Weiches Licht verbannte die Finsternis in die Ecken des Raumes. Erst jetzt sah er, dass das Fenster offen stand. Kein Wunder, dass es hier so verdammt kalt ist , dachte er. Langsam ging er auf das Bett zu. Der Lichtkegel wanderte über die Bodendielen, Schatten huschten über die Wände. Dann erfasste der Schein der Lampe das Bett.
Erik erstarrte. Vor ihm lag Mathildas zertrümmerter Körper. Blut hatte sich in der Mulde der Matratze zu einer tiefen Pfütze gesammelt. Ein dünnes Rinnsal sickerte langsam vom Bett auf den Boden. Blut floss von den Wänden, tropfte von der Decke, füllte die Ritzen zwischen den Dielen und überschwemmte den Boden. Erik schwankte und schloss die Augen. Ein Wimmern zwängte sich aus seiner Kehle.
Als er die Augen wieder öffnete, war Mathildas Leichnam verschwunden. Das Bett war leer. An den Wänden war kein Blut, auch nicht an der Decke oder auf dem Boden. Erik ließ seine Augen wieder und wieder über das Bett wandern. Das Laken war blütenweiß. Die Wand hinter dem Bett reflektierte das Licht der Lampe, als wäre sie frisch gekalkt. Erik zog das Laken beiseite, doch auch die Matratze darunter war unbefleckt. Seine Hand war kraftlos. Das Laken entglitt ihm und sank auf die Matratze zurück. Du hast es dir eingebildet , dachte er. Etwas stimmt nicht mit deinem Kopf. Du siehst Dinge, die nicht da sind. Der Pfarrer hatte Recht. Du solltest einen Arzt aufsuchen.
Die zweite Stimme in seinem Kopf meldete sich zu Wort. Ein heiseres Lachen füllte seinen Schädel. Als ob dir ein Arzt noch helfen könnte. Du bist völlig hinüber, Junge. Seit Jahren schon. Seit jenem Tag, an dem du deinen Bruder getötet hast.
Eriks Beine gaben nach. Er sank auf den Rand des Bettes.
Das habe ich nicht ! , schrie etwas in ihm. Ich habe ihn nicht getötet!
Die Stimme seines Vaters übertönte seinen Protest. Du belügst dich doch nur selbst, du jämmerlicher kleiner Scheißer! Du hast ihn getötet. Hast ihn verrecken lassen wie einen Hund.
Erik presste sich die Hand auf die Stirn, so als könnte er die Stimme dadurch zum Schweigen bringen. Sei still! Sei still! , brüllte er innerlich, wieder und wieder.
Und plötzlich war es still. Das Echo seiner Stimme verharrte kurz im Raum, dann war es verklungen. Entsetzen kam über ihn, als ihm bewusst wurde, dass er laut geschrien hatte. Seine Eingeweide verkrampften sich zu einem pochenden Klumpen. Er hockte in gekrümmter Haltung auf dem Bett und lauschte in die Stille des Hauses. Eine Tür öffnete sich und fiel ins Schloss. Er hörte Schritte auf dem Flur, die schnell näher kamen.
Erik sprang auf. Seine Augen huschten über die Wände und Möbel des Zimmers, tasteten auf der Suche nach einem Versteck fieberhaft jeden Winkel ab. Der Gedanke, sich unter dem Bett zu verkriechen, schoss ihm durch den Kopf. Doch im selben Moment wurde ihm klar, dass die Stelle von der Tür aus offen einsehbar war. Die Schritte wurden lauter. Er durchquerte das Zimmer und riss den Wandschrank neben dem Bett auf. Dann sagte er sich, dass dies der erste Ort war, an dem sie nach ihm suchen würden.
Draußen kamen die Schritte näher und verstummten direkt vor der Zimmertür.
Er blies die Flamme der Petroleumlampe aus. Der
Weitere Kostenlose Bücher