Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Raum versank in Finsternis. Erik wagte nicht zu atmen.
Mit einem leisen Quietschen senkte sich die Türklinke nach unten. Jemand drückte von außen gegen die Tür. Die Klinke hob sich wieder. Dann rüttelte jemand daran.
„Strauss, sind Sie da drin?“ Benedikts Stimme drang durch die geschlossene Tür.
Was zur Hölle macht Benedikt hier ? , fragte sich Erik. Sollte er nicht zuhause bei seiner kranken Frau sein?
Er zog sich tiefer in die Finsternis zurück. Das dumpfe Schlagen seines Herzens tönte laut durch die Stille.
Einen Augenblick lang erwog er, die Tür einfach zu öffnen. Er würde mit Benedikt reden und ihm von seinem Zusammenbruch erzählen. Er würde ihm die Bilder schildern, die hinter seinen geschlossenen Lidern wüteten. Er würde ihm sagen, dass er mit eigenen Augen hatte sehen müssen, dass er Opfer seiner eigenen Einbildungskraft geworden war. Aber etwas in ihm sagte ihm, dass das keine gute Idee war. Etwas in ihm hatte furchtbare Angst, diese Tür zu öffnen.
Er ging rückwärts, bis er gegen den Schrank stieß. Sein Blick war fest auf die Tür gerichtet. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung war. Die offenen Fensterflügel schwangen in der einströmenden Nachtluft leise hin und her.
Benedikt schlug mit der Faust gegen die Tür. Sie wackelte im Rahmen. „Machen Sie die verdammte Tür auf, Strauss!“
Wieder ertönten Schritte auf dem Flur. Dann gesellte sich eine zweite Stimme zur ersten. Konrad redete leise auf Benedikt ein. Während die beiden diskutierten, verstaute Erik die Petroleumlampe vorsichtig in seiner Umhängetasche und bewegte sich auf das Fenster zu. Er blickte hinaus in die Dunkelheit. Hoch über ihm hingen kalt und teilnahmslos die Sterne. Ihr Licht hatte sich über den Großen Kirchner und das Dorf an seinem Fuß gelegt wie eine Schicht aus Tau. Erik sah auf den Hof hinunter. Er schätzte die Höhe auf etwa vier Meter.
„Wer ist da drin?“, hörte er Konrad fragen. „ Kanter, bist du das?“
Wer zur Hölle ist Kanter? , dachte Erik.
„Mach die verdammte Tür auf!“, schrie Benedikt. Dann senkte sich seine Stimme zu einem gefährlichen Grollen. „Ich werde jetzt bis drei zählen. Wenn die Tür dann nicht auf ist, reiße ich sie aus den Angeln. Und wenn du mich zwingst, das zu tun, werde ich dir hinterher jeden einzelnen Knochen im Leib brechen. Hörst du?“
Erik schluckte. Ich höre dich, Benedikt, dachte er.
Er schwang ein Bein über das Fenstersims.
„Eins!“, brüllte Benedikt.
Erik hielt sich mit beiden Händen am Fensterrahmen fest und zog sein zweites Bein über das Sims. Unter ihm glänzten die Pflastersteine des Hofes im Sternenlicht. Die Entfernung bis zum Boden erschien ihm mit einem Mal sehr viel größer als vier Meter.
„Zwei!“
Jetzt musst du springen , dachte Erik.
„Drei!“
Und dann sprang er.
Erik schlug hart auf dem Pflaster auf. Seine Zähne knallten aufeinander. Die Wucht des Aufpralls schoss über seine Beine und die Wirbelsäule durch seinen gesamten Körper. Er rollte sich auf dem Boden ab. Die Lampe schepperte in seiner Tasche. Er unterdrückte ein Stöhnen.
Er rappelte sich auf und rannte los, so schnell es seine schmerzenden Beine zuließen. Anstatt den Weg zurückzulaufen, den er gekommen war, hielt er auf den schwarzen Waldrand zu. Hinter sich hörte er das Geräusch von splitterndem Holz, als Benedi kt die Tür aus den Angeln trat.
Wenige Sekunden später tauchte er in den Tannenwald ein, und die Dunkelheit zwischen den Stämmen empfing ihn wie einen verlorenen Sohn.
Im Schutz der Bäume blieb er stehen und rang nach Luft. Als er sich umwandte, sah er zwei schwarze Gestalten über den Hof der Schmiede laufen. Sie verschwanden auf dem Weg zum Marktplatz in der Finsternis. Erik wusste, was sie vorhatten. Und er wusste, dass er sich beeilen musste, wenn er vor ihnen am Gästehaus sein wollte. Wenn sie sein Bett leer vorfanden, war alles umsonst gewesen.
Er rannte los und hielt sich dabei dicht am Waldrand. Er lief so schnell er konnte, sprang über Wurzeln, wich Löchern aus und duckte sich unter tief hängenden Ästen hindurch.
Beharrliches Seitenstechen nistete sich in seiner Leistengegend ein. Seine Lunge pfiff und rasselte wie ein kaputter Dampfkessel. Schließlich ließ er den Waldrand hinter sich und rannte querfeldein über abgemähte Wiesen und Äcker auf den Pfarrhof zu. Er krümmte sich unter dem zunehmenden Seitenstechen. Auf dem abgeernteten Weizenfeld, das zwischen ihm und dem Pfarrhof lag, hoben
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