Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Schulter. Der Wind hatte zugenommen und trug vom nahen Waldrand den Duft von Harz und Tannennadeln und kühler Erde heran. Über ihm knarrten die Flügel der Windmühle, während sie sich unermüdlich um die eigene Achse drehten. Er blickte zu den riesigen Flügeln auf und betrachtete sie, während sie mit sanftem Flattern über seinen Kopf hinwegzogen. Die Segeltuchbahnen waren vermutlich einmal weiß gewesen, aber jetzt waren sie dreckig und grau und an vielen Stellen zerrissen. Das Fundament und das Erdgeschoss der Mühle bestanden aus grob behauenen Steinblöcken, die mit Flechten und Moos bewachsen waren. Die beiden Stockwerke darüber und das Satteldach waren aus Holz gezimmert, das im Laufe der Jahre eine dunkelgraue Färbung angenommen hatte.
Erik ging zur Eingangstür und drückte die Klinke herunter, doch die Tür war abgeschlossen. Enttäuscht trat er einen Schritt zurück. „Hallo!“, rief er. „Ist jemand da?“ Er umrundete die Mühle und fand auf der Rückseite das Tor, durch das zur Erntezeit das Getreide angeliefert wurde. Einer der Torflügel stand einen Spalt breit offen. Er trat näher heran. Der Geruch von zermahlenem Getreide schlug ihm aus dem Inneren entgegen. „Hallo?“, rief er noch einmal. Die Luft, die durch den geöffneten Türspalt strömte, strich kalt über seine Haut. Sie roch sauer. „Ich würde mir gerne die Mühle ansehen!“, rief er. Seine Stimme verhallte zwischen den Balken. Eine Krähe flog über seinen Kopf hinweg, stieg höher und landete auf dem Satteldach. Sie ließ ein Krächzen hören und blickte mit schwarzen Augen auf ihn herunter. Er stieß den Torflügel auf und starrte angespannt in das vor ihm liegende Halbdunkel. Er spürte ein Kribbeln in der Magen gegend. Dann trat er ein.
Weder das Licht noch die Wärme des herrlichen Herbsttages waren bis ins Innere der Mühle vorgedrungen. Der saure Geruch wurde stärker. Er rief Bilder von verfaulendem Obst in Eriks Kopf wach und vom Boden des Waldes im Herbst, wenn die Blätter wieder zu der Erde wurden, aus der sie entstanden waren. Er machte vorsichtig einen weiteren Schritt vorwärts und wartete darauf, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Die Kälte drang durch seine Kleidung. Schließlich gewann das Innere der Mühle an Konturen. Der Raum war viel größer, als er von außen vermutet hatte. An der rückwärtigen Wand führte eine Treppe ins Obergeschoss, und daneben befand sich ein Lastenaufzug. Der Lehmboden war mit einer Schicht aus Getreidehalmen und Körnern bedeckt. Der alte Mechanismus aus Holz und Eisen, der die Kraft der Flügel auf das Mahlwerk übertrug, stöhnte und ächzte. Im Obergeschoss rieben die Mühlsteine gleichmäßig und monoton aneinander.
Erik ging auf die Treppe zu. Die schwere und staubige Luft hing wie ein klammer Mantel an seinem Körper. Über ihm knarrten die Bodendielen. Er hielt inne und blickte zur Decke auf. „Ist jemand hier?“, rief er.
Feiner Staub rieselte durch die Ritzen zwischen den Dielen über seinem Kopf. Er kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt zur Seite. Er wischte den Staub von seinem Gesicht und sah, dass er seine Handfläche weiß färbte. Es war Mehl. „Piel?“, rief er etwas leiser. „Sind Sie das?“
Noch einmal knarrten die Dielen. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Verschwinde von hier , dachte er. Das hier ist nicht geheuer.
Er wich langsam zum Eingangstor zurück. Ja, lauf weg , sagte die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Lauf weg, das kannst du ja gut. Du elender Feigling.
Hier ist niemand , sagte er zu sich selbst. Vielleicht ein paar Ratten und Vögel, die im Gebälk nisten.
Er lauschte auf die Geräusche aus dem Stockwerk über ihm. Die Mechanik der Mühle polterte und dröhnte, die Mühlsteine schabten behäbig aneinander wie Liebende nach zu vielen Jahren der Vertrautheit. Er betrat die Treppe. Die Stufen knarrten unter seinen Schritten. Auf der Hälfte der Treppe, als er auf Augenhöhe mit dem Boden des ersten Stockwerks war, blieb er stehen. Er ließ seinen Blick durch den Raum über ihm schweifen. Der Boden war mit einer Schicht Mehlstaub überzogen. Sie schwoll zur Mitte hin an, wo die große Holzbütte stand, die die beiden Mühlsteine einfasste. Der Lärm des Mahlwerks war hier oben ohrenbetäubend laut. Das alte Gebälk der Windmühle krachte und ächzte. Metall schabte quietschend auf Metall, Zahnräder ratterten ineinander. Die Luft war erfüllt von feinem Mehlstaub, der in den
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