Der Teufel in uns - Mord in Bonn
Kontrolle.
„Hör zu, du Irre: Ich bleibe jetzt so lange hier sitzen, bis man wieder vernünftig mit dir reden kann!“
Sascha bekam mit, dass sich der Arzt inzwischen um Elfriede Esser kümmerte und mit erschrockenem Gesicht ihren Blutdruck maß, und dass Andreas, der ein verärgertes Gesicht machte, soeben neben der sich am Boden windenden Tina in die Hocke ging.
„Frau Bruschinsky“, begann er in strengem Ton, „hören Sie mit dem Theater auf! Wir alle hier im Raum können bezeugen, was Sie über die Kontaktlinsen gesagt haben! Sie sind die Raubmörderin, Punkt, aus! Finden Sie sich damit ab, dass Sie im Gefängnis landen!“
Daraufhin kippte Tinas Stimmung. Ihr Mund verzog sich, sie drehte den Kopf zur Seite, Tränen traten in ihre Augen, und sie jammerte: „Geh weg von mir.“
Sascha wartete noch eine Minute ab, gab sie endlich frei, stand auf und brachte die Frau mit Andreas’ Hilfe wieder auf die Füße.
Während der Rückfahrt ins Präsidium sagte Tina nichts mehr, sondern weinte nur fast lautlos vor sich hin.
*
Bonn, Lengsdorf - 12.15 Uhr
Gottfried hatte gerade seinen wöchentlichen Großeinkauf hinter sich gebracht und stellte den Wagen auf dem Hof hinter dem Mehrfamilienhaus, in dem er wohnte, ab. Ein hässlicher Hof: kein Baum, kein Strauch, nur Mülltonnen, Beton mit unkrautbewachsenen Rissen und ein paar schäbige, graue Garagen.
Aber so wichtig war das nicht, im Moment hatte er andere Dinge im Kopf. Das eine war der Ärger darüber, dass er diesen Mistkerl Jonas hatte laufen lassen müssen, und das andere Gefühl, das ihn quälte, war die Angst, dass ihm seine Tina, die er gerade für sich gewonnen hatte, für lange Zeit wieder weggenommen wurde. Denn ihm war durchaus bewusst, dass sie das, was die Polizei ihr vorwarf, wirklich getan haben könnte. Er hatte oft genug erlebt, wie schnell und wie heftig sie ausrasten konnte, und sie hatte Geld für eine Spende gebraucht, um ihren noch vor kurzem angebeteten Jonas zu beeindrucken. Ja, er konnte sich vorstellen, dass sie die Frauen überfallen hatte, und dass dann irgendetwas passiert war, das sie die Beherrschung hatte verlieren lassen. Ja, das hielt er für möglich.
Gottfried stieg aus, öffnete den Kofferraum und trug einen Kasten Bier, einen Kasten Wasser und zwei gut gefüllte Plastiktüten hinauf in seine Wohnung. Eben räumte er Fleisch, Wurst, Milch und Käse in den Kühlschrank, als sein Telefon klingelte. Die Nummer kannte er nicht.
„Liebetrau!“
Das erste, was er hörte, war ein leises Schluchzen, dann eine tränenerstickte Stimme.
„Ich bin’s, Tina. Es tut mir leid… Es tut mir alles so furchtbar leid! Wenn ich gewusst hätte, dass ich dich finde, dann hätte ich das alles nicht gemacht!“
Gottfried versuchte, sie zu beruhigen und herauszubekommen, was passiert war.
Tina erzählte von der Gegenüberstellung im Krankenhaus und beklagte sich bitter über ,Arthur‘, der keine Gelegenheit ausgelassen hatte, sie zu demütigen. Gottfried hörte zu, tröstete sie, sprach ihr Mut zu und wunderte sich, dass man sie so lange telefonieren ließ.
Aber schließlich musste sie auflegen, und Gottfried setzte sich im Wohnzimmer erschüttert auf seine Couch, legte den Kopf zurück und starrte an die Decke.
Seine geliebte Tina war also eine Mörderin. Was ihn mehr überraschte, war sein grenzenloses Verständnis für sie. Sie war eine sehr kranke, sehr verletzte Seele, und ganz sicher hatte sie die Frauen nicht vorsätzlich umgebracht. Nein, das waren Unfälle gewesen. Durch irgendetwas hatte sich Tina an ihre Kindheit erinnert gefühlt und war ausgerastet.
Und wer, verflucht noch mal, war schuld daran? Diese Drecksau Jonas! Warum hatte er den Kerl laufen lassen?
Gottfried sprang auf und eilte ins Schlafzimmer, wo er sich ein paar Minuten lang mit seinen Hanteln abreagierte. Dann marschierte er in die Küche und schüttete zwei Gläser Milch in sich hinein. Schließlich setzte er sich an den Küchentisch und schaute zum Fenster hinaus, über die hässlichen Garagen hinweg zu einem wildwuchernden Garten hinüber.
Gab es noch irgendetwas, das er für Tina tun konnte? Sollte er beten? Dafür, dass sich doch alles als Irrtum herausstellte? Aber würde der Allmächtige ein Einsehen haben und ein Happyend zulassen?
Oder verlangte Gottfried zu viel? Die Vergebung seiner Schuld, die er gegenüber seiner Mutter empfand, die Heilung seiner Krankheit, die er geerbt hatte, und dann auch noch eine wundervolle Beziehung zu Tina, die
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