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Der Teufel in uns - Mord in Bonn

Titel: Der Teufel in uns - Mord in Bonn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Lempertz GmbH
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ihre Tasche, schnappte sich den Umschlag mit ihrem Geld vom Tisch, drehte sich um und verließ mit weichen Knien das Café. Irgendwie. Mit diesem schwarzen, leeren Abgrund in sich. Nein, er war nicht leer. In ihm brodelte es. Gefühle von Enttäuschung, von Schmerz, von Demütigung.
    Ziellos lief sie durch die Straßen, sie sah die Geschäfte nicht, sie sah die Menschen nicht. Und die Gefühle brodelten weiter, brodelten und kochten und verwandelten sich in einen gewaltigen und sehr unheiligen Zorn. Auf alles und auf jeden. Auf die ganze Welt. Aber besonders auf ihre Mutter – denn sie hatte Tina zu dem gemacht, was sie war: ein hasserfülltes, verunstaltetes Nichts!
    Wut auf diesen einen Tag, diesen frostigen Tag im Februar, als Tina kaum sechs Jahre alt war, und wie immer musste sie sehr leise sein, damit der Teufel sie nicht hörte. Weil sie ja so böse war!
    Mutter kniete im Schlafzimmer vor einem selbstgebastelten Altar mit Kreuzen, Jesusfiguren, Blumen, Heiligenbildern, Kerzen und einer aufgeschlagenen Bibel. Sie befand sich in religiöser Versenkung und wollte nicht gestört werden. Tina spielte in der Küche mit ihrer Puppe. Sogar dort hing an jeder Wand ein Kruzifix. Am Kühlschrank klebte ein Foto vom Petersdom, und in der ganzen Wohnung hing schwer und widerlich der Geruch von Weihrauch. Den hatte sie dem Pfarrer abgeluchst, bei dem sie mehrmals die Woche putzte und für den sie auch sonst alles Mögliche erledigte.
    Seit Tinas Vater gestorben war („Der Teufel hat ihn geholt!“ wurde ihr eingetrichtert), hatten sie nicht wirklich viel Geld zum Leben. Auch nicht zum Heizen. Es war immer zu kühl in der Wohnung, erst recht an diesem Februarnachmittag.
    Tina merkte plötzlich, dass sie Hunger hatte und beschloss, der Mutter eine Freude zu machen und im Wohnzimmer schon den Kaffeetisch zu decken. Es war noch selbstgebackener Marmorkuchen vom Anfang der Woche da, dazu würde es eine Tasse Kaffee und eine Tasse Schokolade für Tina geben. Voller Vorfreude stellte sie alles, was sie im Wohnzimmer brauchte, auf ein Tablett: zwei Teller, zwei Tassen mit Untertassen, ein Glasschälchen mit der Sahne, die Zuckerdose, Kuchengabeln, Kaffeelöffel.
    Als sie das Tablett vom Tisch nahm, blieb sie damit an einer Stuhllehne hängen. Das Tablett kippte, und alles krachte laut scheppernd und klirrend auf die PVC-Fliesen. Tina erstarrte zu Stein. Zwei Sekunden später stand ihre Mutter in der Tür, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte Tina den Teufel zum Essen eingeladen.
    „Bist du wahnsinnig!“, zischte sie und schaute sich mit vor Angst verzerrtem Gesicht um. „Er hat uns bestimmt gehört! Gott beschütze uns! Was soll ich nur tun?! Bitte Herr, sag mir, was ich tun soll!“
    Natürlich bekam auch Tina immer mehr Angst. Sie fing an zu schluchzen.
    „Bist du wohl still!“, schimpfte ihre Mutter und lief wie aufgedreht in der Küche herum. Plötzlich blieb sie stehen. „Opfer bringen, ja, ein Opfer bringen.“
    Unentwegt murmelte sie es, während sie Sachen zusammensuchte. Tina ahnte, wer das Opfer sein würde. Sie. Sie war immer das Opfer.
    „Komm mit!“, befahl ihre Mutter flüsternd und eilte mit ihr ins winzige Badezimmer. „Zieh dich aus, stell dich da hin und halt still!“
    Wimmernd und unter Tränen zog sich Tina aus, stellte sich frierend in die Badewanne und ließ es geschehen, dass ihre Mutter ihr Flüssigkeit aus einer kleinen Blechflasche über den Kopf goss. Als ihre Mutter dann die Streichhölzer aus der Hosentasche holte, schrie Tina auf.
    „Nein! Ich will nicht!“, schrie sie und versuchte, aus der Badewanne zu klettern.
    Aber da sah sie schon die Flamme aufleuchten, die ihr plötzlich in die Haare flog. Ein Moment des Erschreckens, einen Moment spürte sie nichts, dann kam der Schmerz.
    Tina brüllte los, die Haare brannten, die Haut auf der linken Seite brannte, ein Schmerz, unvorstellbar, vernichtend, und Tina hörte nicht auf zu brüllen. Vielleicht brachte das ihre Mutter zur Besinnung, denn sie drehte das kalte Wasser auf und duschte Tina ab.
    Tina blieb am Eingang zur U-Bahn vor dem Hauptbahnhof stehen. Es hatte aufgehört zu nieseln. Sie musste sich setzen und quetschte sich neben eine ältere Frau auf die Bank.
    Verdammt noch mal, diese Erinnerung machte sie heute noch fertig!
    Ihre Mutter hatte den Notarzt kommen lassen und ihm erzählt, Klein-Tina hätte mit Streichhölzern gespielt und sich selbst in Brand gesteckt. Leider hatte man ihr geglaubt.

    *

    Bonn-Lengsdorf - 17.00

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