Der Teufel in uns - Mord in Bonn
Geranien gepflanzt waren. Sie hockten sich davor, kehrten dem Haus den Rücken zu und begannen sorgfältig und ausdauernd, vertrocknete und verblühte Pflanzenteile aus den Geranien zu zupfen.
Vielleicht eine Viertelstunde später hielt ein vorbeifahrender Bus an, der Fahrer rief ihnen zu: „Kinder, kommt da sofort weg!“, sprang aus dem Fahrzeug, zerrte sie aus dem Garten und benachrichtigte über Funk die Feuerwehr.
Als Tabea sich umdrehte und die Flammen aus den Fenstern schlagen sah, musste sie sich übergeben.
Tabea trank ein paar Schlucke Saft mit Wasser, aber ihr Herz beruhigte sich nicht. Manchmal verzieh sie sich, was sie getan hatten, manchmal ließ sie sich von ihren eigenen Argumenten überzeugen: dass sie und ihre Schwester den Onkel sowieso nicht hätten retten können, und dass ein so schlechter Mensch wie er (der früher oder später kleine Mädchen vergewaltigen würde) nicht verdient hatte, zu leben!
Dann wieder schlugen sämtliche Schuldgefühle des Planeten zu: Vielleicht hätten sie ihn doch retten können, und vielleicht war er gar kein Triebtäter gewesen, vielleicht war er nur ein hässlicher, einsamer Mann, der ganz ohne Hintergedanken die Nähe und Wärme seiner geliebten Nichten gesucht hatte!
Übelkeit meldete sich in ihrem Magen. Weg mit diesen Gedanken! Weg damit! Und her mit der Wut! Mit der Wut auf den Menschen, der ihr das alles aufgeladen hatte! Ihre Mutter! Die Hand, mit der Tabea das Glas hielt, fing an zu zittern.
Jahre später kam heraus, warum die Mutter ihre Töchter zu Onkel Helmut abgeschoben hatte: Sie hatte sich in einen Mann verliebt, und ihr Vergnügen mit diesem Kerl war ihr wichtiger als das Wohl ihrer Kinder! Zum Kotzen, so was! Ihre Mutter war schuld, dass Tabea und Daniela zur Mörderinnen geworden waren!
Von fern hörte sie die gütige Stimme von Jonas – er hätte seiner Mutter sicher längst vergeben. Aber Tabea nicht! Seit sie mit 18 ausgezogen war, hatte sie kein Wort mehr mit diesem egozentrischen Miststück gesprochen!
Gott, war ihr schlecht! Du willst doch jetzt nicht vor aller Augen schlappmachen?! Reiß dich zusammen! Bete!
Für einen Moment schloss sie die Augen und bat Gott um mehr Gelassenheit und um die Größe, sich und anderen zu verzeihen. Aber manchmal hatte sie den Eindruck, dass Gott nichts mit ihr zu tun haben wollte, weil sie schlecht war, weil sie unreif war und unfähig, zu bereuen und zu vergeben.
*
Sascha ließ sich von der Damenwelt zutexten und machte sich über die Hauptverdächtigen in Gedanken Notizen, die er nachher auf der Toilette zu Papier bringen wollte.
1. Ramona Linke spielte die beleidigte Leberwurst, was er nachempfinden konnte. Ansonsten verhielt sie sich mausgrau unauffällig.
2. Jakob Valoschek malte wie abwesend (bekifft, high, stoned) auf seinem Bierdeckel herum, sagte nichts und war als Verdächtiger eher unergiebig.
3. Freund und Froschmann Benjamin Fiedler, der neben ihm saß, schielte in unregelmäßigem Abstand zu Sascha hinüber und beteiligte sich ebenfalls an keiner Diskussion.
4. Jonas Kirch, der Mann mit dem blütenweißen Anzug, gab sich freundlich, gelassen und fromm und machte keine Anstalten, in seiner Predigt zu Mord und Totschlag aufzurufen.
5. Wer stets besonders ausdauernd zu Sascha hinüberstarrte, war der vollbärtige Gottfried, auch so ein seltsamer Heiliger, dem alles und nichts zuzutrauen war. Zwischen seinen visuellen Attacken auf Sascha kümmerte er sich lächelnd und plaudernd um seine Sitznachbarin Tina.
6. Diese Tina war, wie Sascha herausgefunden hatte, so was wie die Nummer zwei hier in dem Laden. Heute schien allerdings ihre Beziehung zu Kirch schwer gestört. Sie hatten noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Hatten sie vielleicht gemeinsam geraubt und gemordet, und war es darüber zum Streit gekommen?
Sascha tat so, als höre er Jonas zu, und ließ seine Blicke wie in Gedanken über die Gemeindemitglieder wandern. Wer kam denn noch als Raub- und/oder Ritualmörderin in Frage? Um die Anzahl übersichtlicher zu machen, schloss er gut zwei Dutzend schon vom Alter her aus, denn nach Beschreibung der Zeugen war die Täterin zwischen 30 und 45 Jahren alt. Etwas mehr als ein weiteres Dutzend kam auch nicht in Frage, weil diese Damen einen sehr gut situierten bis vermögenden Eindruck machten. Warum sollten sie jemanden umbringen, um Geld zu stehlen? Sorgfältig begutachtete Sascha die vielleicht 20 Übriggebliebenen... Doch wonach suchte er eigentlich? Nach
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