Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
fahre mit der Hand über die Wand, fühle nach dem Lichtschalter und knipse ihn an, sodass der Eingangsbereich sofort mit hellem Licht überflutet wird.
Ich bewältige die Treppe schnell und taste in meiner Tasche nach dem Wohnungsschlüssel. Ich weiß nicht mehr, ob ich spürte, was als Nächstes geschah, oder ob ich es kommen sah. Doch als ich den Treppenabsatz erreiche, stoße ich erschrocken auf eine Gestalt, die zusammengekauert vor meiner Tür hockt. Ich schreie unwillkürlich auf und hebe abwehrend die Hände vor mein Gesicht, als der Angreifer auf mich zukommt.
»Darryl, ich bin’s!«, ruft eine Frauenstimme.
Mit zitternden Beinen taumele ich zurück zum Lichtschalter für den ersten Stock und knipse ihn an.
Yolanda! Sie reißt die Hände hoch, um ihre Augen zu schützen.
»Sie haben mich zu Tode erschreckt«, schnauze ich sie wütend an. »Was machen Sie hier?«
Erst in dem Moment bemerke ich den Jungen. Er ist zwei oder drei Jahre alt und umklammert so krampfhaft Yolandas Bein, dass er mit seinem kräftigen Griff ihren Oberschenkel einbeult. Blut rinnt ihm aus der Nase und tropft von seiner Lippe, sein Gesicht ist mit Blutergüssen übersät und sein Kopf auf der linken Seite schrecklich geschwollen.
»Mein Gott! Was um alles in der Welt geht hier vor?« Reflexartig trete ich auf den Knirps zu, doch bevor ich mich ihm auf drei Meter genähert habe, weicht er zurück und versteckt sich wimmernd hinter Yolanda.
»Was geht hier vor?«, frage ich ungläubig.
Yolanda starrt mich nur an und schweigt. Die Beschämung in ihren Augen ist so tief, dass mich der Anblick schmerzt.
KAPITEL ZEHN
Die gelangweilt wirkende Brünette mittleren Alters im Altenwohnheim »Herde des guten Hirten« nickte Mark Dillard lässig zu, der zurücknickte und schnell seinen Namen auf das Anmeldeformular kritzelte.
Er war so geistesabwesend, dass ihm das kokette Funkeln in den Augen der Empfangsdame entging, die den adretten Rotschopf, der neu im Angebot war, anerkennend betrachtete. Ein Mann, der nicht viele Worte machte.
»Schon das dritte Mal die Woche, hm, Schatz?«
Dillard lächelte nur und warf ihr das Klemmbrett mit dem Anmeldeformular hin, wobei der angehängte Kugelschreiber in einem trägen Bogen schwang. Er wollte nicht unhöflich sein, er sehnte sich nur danach, Betty Jo Dillard, alias Oma, zu sehen.
Es war Dillards Großmutter, die seine Ansichten über Politiker (alles Gauner), das Militär (ehrenhaft), Blasmusik (herrlich) und Afroamerikaner (Taugenichtse) geprägt hatte.
Dillard war seit seinem zehnten Lebensjahr von Oma aufgezogen worden, was es seiner überlasteten alleinerziehenden Mutter ermöglicht hatte, für die beiden jüngeren Kinder zu sorgen. Oma war es zu verdanken, dass Dillard bereits als Elfjähriger mit frühreifer Geläufigkeit fluchen konnte. Rassistische Schmähungenauszustoßen war ihm so leicht gefallen wie das Atmen, und Omas Ballantine-Bier dezimierte der kleine Markie, wenn sie es auch nur eine Minute unbeaufsichtigt ließ.
Nicht, dass er sich das Bier hätte erschleichen müssen, denn Oma betrank sich regelmäßig und fand es amüsant, ihm auch welches zu geben.
Kopfschüttelnd erinnerte sich Dillard daran, wie das alte Mädchen nachmittags stocknüchtern von ihrem Pförtner-Job bei Bethlehem Steel nach Hause kam und gegen halb neun abends nur noch Blödsinn redete. Zum Glück wurde sie nicht fies, wenn sie betrunken war. Nein, sie gehörte zu den Menschen, die euphorisch und albern werden und alles und jeden umarmen und küssen wollen.
Dillard hatte an Oma immer bewundert, dass sie sich von nichts und niemand unterkriegen ließ, außer wenn sie Zuflucht bei einer Ballantine-Flasche suchte.
Sie war es, die Dillard eingebläut hatte, dass er von Natur aus allen Afroamerikanern, Indianern, Asiaten und allen Menschen mit einer dunkleren Hautfarbe als der seinen überlegen sei. Auch wenn Oma und drei Generationen von Dillards vor ihr zu den proletarischsten Arbeitern überhaupt gehörten und von Schwarzen und Weißen gleichermaßen als ungebildetes weißes Pack abgelehnt wurden.
Es war Omas Haus, in das Dillard gezogen war, als sie selbst zu verwirrt geworden war, um ihren Haushalt zu führen. Er würde die Erinnerung an Oma immer in sich tragen, in seinem Herzen und in Form einer rotblauen Tätowierung auf seinem rechten Bizeps, und war entschlossen, ihr die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu machen.
Deshalb waren Besuche im »Herde des guten Hirten«-Heim ein
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