Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
Bibel. Sie hatten sogar kurz über das Buch gesprochen, bevor sie sich an einem Donnerstagabend bei Ruby’s trafen, einer überfüllten, schummrigen Bar im Highlandtown-Bezirk Baltimores. Dort würde die dröhnende Country-Musik ihre Gespräche übertönen und jeder Kripobeamte auffallen wie ein bunter Hund.
Simmes hielt unter dem Tisch eine hellbraune Sporttasche mit seiner selbstgebastelten Bombe fest.
»Wozu hast du die denn mitgebracht?«, fragte Dillard barsch und gab der Kellnerin ein Zeichen. Eine dichte Wolke aus Zigarettenqualm verhüllte das dünne, blasse Mädchen mit raspelkurzen Haaren am anderen Ende des Raumes fast. Sie nickte und fuhr fort, die Bestellung am anderen Tisch aufzunehmen.
»Hätte ich sie in Boyles’ Lieferwagen lassen sollen?«, antwortete Simmes mit einem hintergründigen Lächeln. »Damit die Bullen sie finden und uns einbuchten?«
»Das ist ein Argument«, schrie Dillard über den Lärm hinweg. »Zigarette, Mann?«
Simmes grunzte leise. In seinem aufgekrempelten linken T-Shirt-Ärmel steckte für jedermann sichtbar eine Schachtel Zigaretten. Der Gedanke, Dillard eine davon abzugeben, schien ihn regelrecht zu quälen. Dillard und Boyles sahen sich an und fingen an, so heftig zu lachen, dass ihnen die Tränen über die Wangen liefen. Sogar Simmes musste schmunzeln.
Die dünne Kellnerin kämpfte sich mit drei Bierflaschen in der Hand zu ihrem Tisch durch, indem sie um Stühle, Tische und betrunkene Gäste Slalom lief.
Dillard nickte Simmes zu. »Hoffentlich hat unser Komiker hier kein Billig-Schießpulver benutzt.« Überrascht von seiner seltenen Ungezwungenheit, lachten Boyles und Simmes beide.
Schon nach zwei Runden Bier hatten sie den Plan für das Sprengstoffattentat auf die Müllabfuhr ausgearbeitet. Die Rohrbombe sollte am 2. Juli um halb neun morgens explodieren, zwei Tage nach dem Mord an Sheldon Blumberg. Gegen fünf Uhr, lange bevor die meisten seiner Kollegen zur Arbeit erschienen, sollte Boyles seinen ehemaligen Arbeitsplatz betreten und die Vorrichtung einfach in einem der Müllwagen zwischen dem Führerhaus und dem 150-Liter-Dieseltank platzieren.
Und genau das tat er auch. Zu seiner Erleichterung begegnete er niemandem, der ihn unter Umständen hätte erkennen können. Als er sich nach einem der neuen Mülllaster umsah, die die Stadt erst vor vier Monaten erworben hatte, entdeckte Boyles in der Nähe der Instandhaltungswerkstatt gleich drei nebeneinander. Er suchte sich das mittlere Fahrzeug mit der Nummer 507 aus. Boyles lächelte, während er die Sporttasche vorsichtig in den engen Zwischenraum zwischen dem rechten Treibstofftank und dem Führerhaus schob, wo der Fahrer sie kaum bemerken würde. Das sollte ihnen eine Lehre sein, das wegzunehmen, was eigentlich ihm zustand, undseine Familie darunter leiden zu lassen. Doch diesmal hatten die gezielten Fördermaßnahmen zugunsten von Minderheiten einen Mann zum Opfer gemacht, der sich entschlossen hatte, sich zur Wehr zu setzen, statt sich widerstandslos zu ergeben.
Boyles konnte ja nicht wissen, dass Nr. 507 an jenem Morgen gar nicht durch die Straßen von Baltimore rollen sollte. Stattdessen war der Wagen für die routinemäßige Wartung vorgesehen und wurde um 8.03 Uhr langsam in die Instandhaltungswerkstatt gefahren.
Um 8.29 Uhr vernahmen die Angestellten der Müllabfuhr, die in der Instandhaltungswerkstatt arbeiteten, einen ohrenbetäubenden, donnernden Knall, der mit einem orangefarbenen Feuerball einherging, der sich über die Decke der Werkstatt ausbreitete. Während die Arbeiter in Panik auseinanderstoben, fingen Schmierfett, Öl und Sprühdosen Feuer und setzten sieben weitere Laster in Brand, die in der Werkstatt parkten.
Das alte Gebäude aus Holz und Klinker wurde von einem hartnäckigen Brand mit Alarmstufe 6 zerstört, den die Feuerwehrmänner erst nach vier Stunden unter Kontrolle bekamen und von dem eine spektakuläre Wolke aus schwarzem Rauch aufstieg, die die Skyline von East Baltimore überragte. Automechaniker Joel Kocinski, der unter Lastwagen Nr. 507 lag, als die Bombe explodierte, wurde in dem Inferno eingeäschert. Kocinski war Harold Boyles’ bester Freund.
Um acht Uhr dreißig rief Dillard, sobald er sicher war, dass die Bombe detoniert war, von einem Münzfernsprecher aus beim Regionalfernsehen an. Er wurde zum Sendeleiter der Morgennachrichten durchgestellt. Um seine Stimme zu verfremden, hielt Dillard ein Taschentuch über die Sprechmuschel und verkündete, dass eine
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