Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
ortsansässige Bürgerwehr einen Bombenanschlag auf die Müllabfuhr verübt habe, um gegen den Verfall amerikanischer Werte und das Zunehmen positiver Diskriminierung zu protestieren. Nach einer aufreizenden Pause fügte er noch hinzu, dass die Gruppe auch für den Tod des Wohltäters Sheldon Blumberg verantwortlich sei. Dann legte er auf, wischtein aller Seelenruhe seine Fingerabdrücke vom Telefon und fuhr zur Arbeit.
Boyles hingegen, der sich an einem Mülllaster festklammerte, der langsam durch das Stadtzentrum von Baltimore fuhr, schlug sich mit Zweifeln und Gewissensbissen herum. Als er irgendwo in East Baltimore schwarze Rauchschwaden gen Himmel steigen sah, brauchte ihm keiner zu erklären, was passiert war. Er wusste intuitiv, dass es etwas mit der Bombe zu tun hatte. Mit der Bombe, die
er
gelegt hatte.
Er verbrachte die längsten drei Stunden seines Lebens damit, durch die Innenstadt von Baltimore zu fahren, das Heulen der Feuersirenen in der Ferne zu hören und sich zu wünschen, dass irgendwer – egal wer – Neuigkeiten über die Feuersbrunst am Horizont bringen würde. Am liebsten wäre er auf Passanten zugestürzt, hätte sie an den Schultern gepackt und sie beschworen, ihm zu verraten, was dort brannte. Boyles hätte fast sein Frühstück wieder ausgespuckt, als die Einsatzzentrale ihnen über Funk mitteilte, dass die Wartungshalle in East Baltimore gerade bis auf die Grundmauern niederbrannte.
»Ist irgendwer verletzt?«, fragte er mit panischer Stimme. Der Rest seiner Mannschaft starrte ihn entgeistert an. »Hey, ich hab zwölf Jahre da gearbeitet. Ich kenne die Jungs alle.«
»Verstehe, Chef.« Der Fahrer von Boyles’ Mülllaster zuckte mit den Schultern. »Ich kenn auch ein paar von denen.«
Als sie in der letzten Straße die Mülltonnen geleert hatten, die randvoll mit Unrat waren, kam über Funk die Nachricht, dass noch eine Person im Feuer vermisst wurde.
»Ohhh, Gott«, stöhnte Boyles und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Wer? Wer ist es?«
Als Boyles’ Mülllaster zurück ins Werk in South Baltimore rollte, wo er instand gehalten wurde, manövrierte sich hinter ihnen eine große amerikanische Limousine hinein und hielt. Zwei Kommissare der Mordkommission stiegen mit gezogenen Waffen aus.
»Wer von Ihnen ist Harold Boyles?«
»Ich. Warum, w-w-was ist los?«
Der Rest der Besatzung stand um Boyles herum und sah entgeistert zu.
»Mordkommission«, sagte einer der Cops und ließ seine Dienstmarke aufblitzen. »Wir wollen, dass Sie mit uns ins Präsidium kommen und ein paar Fragen beantworten.«
»Worüber? Worüber? Ich hab niemanden umgebracht. Was ist los?«
»Wir wollen Sie zu dem heutigen Brand in der Werkstatt der Müllabfuhr in East Baltimore befragen. Ein Mann namens Joel Kocinski ist darin umgekommen. Hey!«
In der Sekunde, als einer der Beamten Boyles am Arm packen wollte, sackte er zusammen und fiel mit ungelenk gespreizten Beinen zu Boden. Er kam rechtzeitig wieder zu sich, um das
hüo hüo huö
des Krankenwagens zu hören, der ihn, gefolgt von den beiden Beamten der Mordkommission, ins Mercy Medical Center brachte. Nach einer kurzen Kontrolluntersuchung wurde Boyles ins Polizeipräsidium gebracht, um von einem Team, zu dem auch Brandermittler stießen, in die Mangel genommen zu werden.
Am Anfang konnte er aufgrund seines jämmerlichen Geflennes kaum die Fragen hören. Und im Verhörraum war noch eine Stimme, die von Joel Kocinski, der ihn immer wieder fragte: »Wie konntest du das tun, Harry? Ich bin der Patenonkel deines Sohnes!«
Boyles’ Müllspeditionsgewerkschaft sorgte dafür, dass einer der Spitzenstrafverteidiger der Stadt ins Polizeipräsidium kam und Boyles vertrat. Gegen ein Uhr morgens, nachdem Boyles jede Beteiligung an dem Bombenanschlag kategorisch geleugnet hatte und sich weigerte, Dillard und Simmes dranzugeben, schrie Boyles’ Anwalt wütend, dass es langsam Zeit wäre, Butter bei die Fische zu geben, und die Polizei musste Boyles wohl oder übel auf freien Fuß setzen.
Wie vorauszusehen war, verfielen die Nachrichtenmedien in Baltimore in einen fieberhaften Konkurrenzkampf, als der anonyme Anruf bekannt wurde, der den Bombenanschlag auf die Werkstatt mit einer Bürgerwehrbewegung verband. Was die Geschichte nur noch interessanter machte, war der Zusammenhangmit dem immer noch unaufgeklärten Mord an Sheldon Blumberg, der Stütze der Gemeinde.
Ein verdreckter und untröstlicher Boyles war seit einer Stunde zu Hause
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