Der Teufel mit den blonden Haaren
geworden?“ fragte sie. „Was ist denn hier los? Halb drei Uhr — und ihr hockt noch alle herum, als hätten euch die Hühner das Brot aus der Hand gefressen. Was geht hier eigentlich vor?“
„Nichts, Antonie“, sagte der Richter. „Wir hatten eine... eine ganz interessante Unterhaltung, und da wurde es ausnahmsweise etwas später. Wir waren doch gar nicht laut, oder?“
Die alte Dame nickte.
„Eben, das hat mich ja gestört. Wenn ihr euch sonst so lange unterhaltet, konnte ich das oben ganz gut verstehen. Heute war alles totenstill. Plant ihr eine Verschwörung? Wo ist Sabine?“
„Bei ihrer Freundin“, sagte Toni rasch.
„Und... dieses Mädchen? Wo steckt es? Im Gästezimmer brennt kein Licht, ich habe aber heute auch noch kein Radio gehört, sie spielt doch immer Radio und schläft darüber ein. Wo ist sie?“
„Fortgegangen“, sagte Dr. Mercker. „Ich glaube, sie wollte nach München.“
„So?“ fragte Tante Antonie. „Wie merkwürdig. Wie will sie denn nach München kommen? Als der letzte Bus fuhr, war sie ja noch hier.“
„Vielleicht per Anhalter?“ warf Toni ein.
Tante Antonie schaute ihn fast mitleidig an, sie ging auf ihn zu und streichelte ihm das Haar.
„Toni, mein armer Irrer, wartest du immer noch auf dieses Mädchen? Du solltest dir eine andere suchen, die mehr taugt. Außerdem kann ich euch genau sagen, wo sie ist: beim Reitberger Franz in Ascholding. Mit dem hat sie nämlich was, die Milchfrau hat sie beobachtet, wie sie neulich nachts... Toni? Es tut mir leid, wenn ich dir die Augen zu hart aufgemacht habe. Und überhaupt —“, sie wandte sich an alle, „wie lange soll dieses Flittchen noch in unserem Hause bleiben? Harald, es wäre deine Sache, da endlich Schluß zu machen.“
„Werde ich“, nickte der Richter gequält. „Werde ich ganz bestimmt. Aber nun geh wieder schlafen, Antonie, und...“
Sie nahm das Glas ihres Bruders, goß sich einen fingerbreit Kognak ein, trank ihn aus, stellte das Glas nachdrücklich wieder vor ihren Bruder auf den Tisch und sagte:
„Ihr solltet mich nicht ständig für dümmer halten als ich bin. Als der Schuß fiel, war außer Harald niemand unterwegs. Zufällig sah ich dieses Mädchen das Haus verlassen, es ging zur Landstraße vor, und ein paar Minuten später — ich wollte gerade das Fenster wieder schließen, weil es mir zu kalt wurde —, ein paar Minuten später krachte der Schuß. Aha, dachte ich mir, jetzt hat sie einer abgeknallt und...“
„Antonie“, fuhr sie der Richter an. „Du drückst dich aus, wie... wie...“
„Wie ich es im Fernsehen immer höre und wie es heute modern ist. Toni?“
„J — Ja?“
„Stimmt bis jetzt alles?“
„Ich... ich... ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.“
„Dann solltest du lieber Straßenkehrer werden, mein Junge. Außerdem weißt du ganz genau, daß ich eben nicht die Wahrheit gesagt habe: du warst ja auch draußen, als der Schuß fiel, oder?“
„Ich... ja, Tante, ich war auch draußen.“
„Ich sah dich diesem Flittchen nachsteigen und dachte mir noch: aha, dachte ich, jetzt wird er gleich seine Lektion bekommen, jetzt werden ihm gleich die Augen aufgehen, wenn er nämlich sieht, daß vorne an der Straße der Reitberger Franz auf sein Liebchen wartet. Du kannst noch gar nicht an der Straße gewesen sein, als ich den Schuß hörte, denn du bist durch den Wald gekrochen. Und“, sie wandte sich wieder ihrem Bruder zu, „und Harald kam von der Kuhweide her aus dem Wald, einen solchen großen Bogen konnte er in dieser Zeit gar nicht gelaufen sein. Er muß also schon weit im Walde gewesen sein, als der Schuß fiel. Stimmt das, Harald?“
„Ja, das stimmt — aber...“
„Aber was? Nun will ich endlich wissen: ist sie tot?“
„Ja“, sagte der Richter. „Sie ist tot. Erschossen.“
„Geschieht ihr recht. Nur schade, daß der anständige Bursche, der es getan hat, nun dafür auch noch bestraft wird.“ Sie hob ihre spitze Nase hoch und nickte ihrem Bruder lächelnd zu. „Wenn ich Richter wäre, würde er dafür einen Orden von mir bekommen. Und jetzt könnt ihr ja ruhig einmal die Polizei anrufen, mit meiner Aussage kann euch ja nichts passieren.“
„Erstens“, sagte der Richter, „habe ich die Polizei von dem Schuß schon verständigt. Und zweitens hast du — Sabine vergessen, Antonie.“
Die alte Dame winkte ab.
„Ach was, Sabine! Die ist doch bei ihrer Freundin und...“
Toni sprang auf, sein Jungengesicht war vom Zorn verzerrt.
„So
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