Der Teufel trägt Prada
Viermal pro Jahr, mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks, blätterte sie sich durch die Musterkataloge, als wären sie einzig für sie bestimmt, und suchte Kostüme von Alexander McQueen und Hosen von Balenciaga aus wie andere T-Shirts von L.L. Bean. Ein gelber Haftzettel auf die schmal geschnittene Stretchhose von Fendi, einer mitten auf das Chanel-Kostüm, der dritte, mit einem fetten »NEIN«, quer über dem passenden Seidentop. Und so ging es weiter und weiter, Seite um Seite, Haftzettel um Haftzettel, bis sie die komplette Garderobe für die kommende Saison direkt vom Laufsteg weg geordert hatte – Zeug, das zum Großteil noch gar nicht gefertigt war.
Ich hatte Emily beim Faxen von Mirandas Bestellungen an die diversen Designer zugesehen; die Felder für Größen- und Farbwahl blieben dabei grundsätzlich unausgefüllt. Wer seine Manolos wert war, wusste ohnehin, was für Miranda Priestly taugte. Doch mit den richtigen Größen war es natürlich nicht getan – wenn die Klamotten bei Runway eintrudelten, mussten sie immer
noch gekürzt und abgenäht werden, damit sie nach Unikaten aussahen. Erst wenn die komplette Garderobe bestellt, zugestellt, maß- und passgerecht gemacht und vom Privatchauffeur per Limousine zu ihr nach Hause transportiert worden war, ließ Miranda die Kollektion der letzten Saison aus den Klauen: dann türmten sich im Büro Müllsäcke voll Zeug von Yves, Celine und Helmut Lang. Das meiste war nicht älter als vier bis sechs Monate, höchstens ein-, zweimal, wenn überhaupt, getragen, und alles nach wie vor so rasend schick, so irre cool, dass es in den meisten Läden noch gar nicht zu haben war. Doch sobald es zur letzten Saison gehörte, kam es für Miranda ebenso wenig in Frage wie, sagen wir, eine Kunstlederhose.
Hin und wieder fand ich etwas Passendes, ein Tank-Top oder eine Jacke im Oversize-Format, aber nachdem alles in Größe 32 war, standen die Aussichten eher schlecht. Meistens verteilten wir die Sachen an Leute mit Töchtern unter zwölf – die einzigen, die mit etwas Glück tatsächlich hineinpassten. Ich stellte mir kleine Mädchen mit knabenhaften Körpern vor, die in Pradaröcken und verführerischen Spaghettiträgerkleidchen von Dolce und Gabbana herumstolzierten. Wenn wirklich mal ein echt atemberaubender, superteurer Fummel dabei war, befreite ich ihn aus dem Müllsack und lagerte ihn unter meinem Schreibtisch, bis ich ihn ungesehen nach Hause schmuggeln konnte. Ein paar Mal schnell bei eBay reingeklickt oder kurz bei einem der vornehmen Second-Hand-Shops auf der Madison Avenue vorbeigeschaut, und schon hatte ich mein mageres Salär ein bisschen aufgepolstert. Kein Diebstahl, fand ich, sondern lediglich Nutzbarmachung von mir anvertrautem Gut.
Zwischen sechs und neun Uhr abends – Mitternacht bis drei Uhr früh, nach ihrer Zeitrechnung – rief Miranda insgesamt noch sechsmal an, um sich mit verschiedenen Leuten verbinden zu lassen, die allesamt längst in Paris waren. Ich fertigte sie lustlos, aber ohne größere Pannen ab und packte schließlich zusammen um mich davonzuschleichen, bevor das Telefon am Ende noch mal
klingelte. Erst als ich mich erschöpft in meinen Mantel zwängte, fiel mein Blick auf den Zettel, den ich mir an den Monitor gepappt hatte, damit genau das nicht passieren sollte, was nun doch passiert war: »A. ANRUFEN, HEUTE 15:30«. In meinem Hirn verschwamm alles, meine Kontaktlinsen waren schon seit Ewigkeiten zu winzigen, steinharten Glasscherben eingetrocknet, und jetzt fing es in meinem Kopf an zu pochen. Kein stechender Schmerz, nur dieses dumpfe, stumpfe Unbehagen, das sich nicht genau orten ließ, aber schleichend, unerbittlich, weiter wachsen würde, bis ich entweder gnädig in Ohnmacht fiel oder es mir den Schädel sprengte. Über der elenden Hektik mit den ganzen Telefonaten aus Übersee, über all der Angst und Panikmache hatte ich vergessen, mir die 30 Sekunden zu nehmen und zu tun, worum Alex mich gebeten hatte. Schlicht und einfach vergessen, etwas so Simples wie einen Rückruf bei jemandem, der mich sonst nie mit irgendwelchem Ansinnen behelligte.
Ich setzte mich in das dunkle, stille Büro und griff zum Hörer; er war noch leicht schweißig, von meinem letzten Telefonat mit Miranda vor ein paar Minuten. Unter Alex’ Privatnummer meldete sich nach ewigem Klingeln nur der Anrufbeantworter, aber auf dem Handy hatte ich ihn sofort dran.
»Hi.« Er wusste von der Rufanzeige, dass ich es war. »Wie war dein Tag?«
»Ach egal, wie
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