Der Teufel trägt Prada
es klang eher geflüstert. Die Türen schlossen sich hinter uns: die nächsten 17 Stockwerke waren wir ganz allein. Ohne ein Wort zog sie ihren ledernen Terminplaner heraus und blätterte darin herum. Mit jeder Sekunde, die wir Seite an Seite dastanden und ihre Antwort auf sich warten ließ, wurde das Schweigen tiefer und lastender. Ob sie mich überhaupt erkennt? Konnte es sein, dass ihr meine Anwesenheit im Büro als ihre persönliche Assistentin während der letzten sieben Monate vollständig entgangen war? Oder hatte ich am Ende tatsächlich zu leise geflüstert für ihr Ohr? Warum fragte sie mich nicht sofort nach der Restaurantbesprechung und ob ich ihre Botschaft wegen der Bestellung des neuen Porzellans bekommen habe und ob für die Party am Abend alles bereit sei? Sie benahm sich, als befände sich in dieser kleinen Kabine außer ihr kein weiteres menschliches Wesen – jedenfalls keines, das sie ihrer Aufmerksamkeit für Wert befand.
Nach ungefähr einer Minute merkte ich endlich, dass der Aufzug sich seit meinem Eintritt noch keinen Millimeter gerührt
hatte. O mein Gott! Sie hatte mich also sehr wohl wahrgenommen – und war offensichtlich davon ausgegangen, dass ich auf den Knopf drücken würde; stattdessen war ich zur Salzsäule erstarrt. Wie das Kaninchen vor der Schlange streckte ich jetzt einen Finger aus und tippte behutsam auf die 17, jeden Moment auf einen Zornausbruch gefasst. Doch außer dass wir unverzüglich in die Höhe schossen, geschah nichts; offenbar hatte sie gar nicht bemerkt, dass wir bis dahin noch nicht von der Stelle gekommen waren.
Fünf, sechs, sieben... Die Zeit dehnte sich schier endlos; dazu noch die Stille, die mir in den Ohren dröhnte. Schließlich nahm ich allen Mut zusammen – und musste, als ich in Mirandas Richtung sah, feststellen, dass sie mich von oben bis unten musterte. Gänzlich unverhohlen ließ sie ihren Blick von meinen Schuhen über die Hose bis zur Bluse und weiter über Gesicht und Haar wandern, ohne mir je in die Augen zu sehen. Ihre Miene signalisierte den unbeteiligten Ekel abgebrühter Polizisten in Krimiserien beim Anblick des zigsten übel zugerichteten, blutüberströmten Leichnams. Ich ließ mich kurz vor mir selbst Revue passieren: Woran konnte es haken? Kurzärmlige Bluse im Military-Look, eine brandneue Seven-Jeans, gratis von der PR-Abteilung, bloß weil ich bei Runway arbeitete, und ein Paar schwarze, mit fünf Zentimetern Absatz relativ flache Sandaletten – bis dato das einzige Schuhwerk, das weder Stiefel, Turnschuh noch Loafer war und mich vier oder mehr Ausflüge pro Tag zu Starbucks überstehen ließ, ohne dass meine Füße in Fetzen hingen. Normalerweise bemühte ich mich schon, die Jimmy Choos zu tragen, die ich von Jeffy hatte, aber ungefähr einmal pro Woche schrien meine gemarterten Fußgewölbe nach einer Pause. Mein Haar war frisch gewaschen und zu dem gleichen kunstvoll nachlässigen Knoten zusammengesteckt, den Emily ständig ebenso stumm wie beredt zur Schau trug, und meine Nägel waren zwar nicht lackiert, aber dafür schön lang und in halbwegs ansehnlicher Form. Die letzte Achselrasur hatte vor weniger als 48 Stunden
stattgefunden. Beim letzten Gesichtscheck waren keine grö ßeren Auswucherungen zu entdecken gewesen. Das Zifferblatt meiner Armbanduhr von Fossil zeigte nach innen – für den Fall, dass jemand versuchte, mit einem Blick die Marke zu erkennen. Zur Sicherheit tastete ich mit der Rechten noch kurz ab, ob irgendwo ein BH-Träger hervorguckte. Negativ. Was also war es? Warum, verdammt, schaute sie mich so an?
Zwölf, dreizehn, vierzehn... Der Fahrstuhl hielt und gab den Blick auf einen weiteren, blendend weißen Empfangsbereich und eine Mittdreißigerin frei, die schon zusteigen wollte, bei Mirandas Anblick aber erschrocken zurückprallte.
»Oh, ich, äh…«, entfuhr es ihr. In Panik hielt sie Umschau nach irgendeinem Vorwand, um nicht in unserer kleinen Privathölle mitschmoren zu müssen. Insgeheim hielt ich ihr die Daumen für ein glückliches Entrinnen, auch wenn es für mich natürlich netter gewesen wäre, sie bei uns an Bord zu haben. »Ich, ach herrje! Ich hab ja die Fotos für die Besprechung vergessen«, fiel ihr endlich ein: Und dann nichts wie auf dem – gefährlich wackligen – Manolo-Absatz kehrt und mit Volldampf zurück ins Büro. Die Türen schlossen sich erneut. An Miranda war das Ganze offenbar vorbeigegangen.
15, 16, und endlich, endlich!! – 17. Vor dem Fahrstuhl stand eine Horde
Weitere Kostenlose Bücher