Der Teufel und die Lady
Ich gehe nur kurz hoch ins Wohngemach, um zu sehen, was getan werden muss. Ihr könnt den oberen Treppenabsatz und die Tür auch von hier aus überblicken.«
Die beiden Krieger zögerten, tauschten Blicke, setzten sich dann jedoch wieder, und Evelinde strebte eilig auf die Treppe zu, wobei Mildrede sich an ihre Fersen heftete.
Die Treppe hinauf und durch die obere Halle zu schreiten war nun, da dort Fackeln brannten, weit angenehmer als früher. Zwar war die Halle immer noch nichts weiter als eine Halle, lang und kahl und von Türen gesäumt, aber immerhin sah man nun, wohin man trat, und musste nicht mehr fürchten, über im Dunkeln verborgene Gegenstände zu stolpern.
Schon bei dem bloßen Gedanken verzog Evelinde das Gesicht. Sie war in jüngster Zeit oft genug zu Fall gekommen und konnte für eine Weile gut darauf verzichten – sofern sie dies schaffte, dachte sie, während sie zur geschlossenen Tür des Wohngemachs vorausging.
Sie hatte den Raum schon zuvor in Augenschein genommen, doch der abgestandene Geruch traf sie beim Eintreten dennoch mit überraschender Heftigkeit. Es roch nach Fäulnis und Moder, und beide Frauen rümpften angewidert die Nase. Evelinde nahm an, dass eben dieser Geruch sie beim letzten Mal dazu bewegt hatte, nur kurz die Fackel ins Gemach zu halten und dann schnellstens wieder den Rückzug anzutreten. Diesen Luxus konnte sie sich heute nicht erlauben. Wenn sie den Raum künftig nutzen wollten, würden sie ihn reinigen und lüften müssen.
»Mildrede, sei so gut und hole eine der Fackeln aus der Halle«, wies Evelinde die Magd an und machte einige zaghafte Schritte ins Wohngemach hinein, wobei sie vorbeugend mit einer Hand vor ihrem Gesicht herumwedelte, um mögliche Spinnweben beiseitezuwischen. Von ihrem erstmaligen Besuch wusste sie noch, dass die Fenster mit Holzläden verschlossen waren. Je schneller sie diese geöffnet hätte, desto eher würde sie sehen können, was sie tat. Und zudem würde es den Gestank vertreiben helfen.
»Hier, bitte sehr, Mylady.«
Evelinde wandte sich erleichtert zu ihrer Magd um, die mit einer Fackel in der Hand im Türrahmen erschienen war. Der Feuerschein ließ Schatten im Raum tanzen. Evelinde ergriff die Fackel, hielt sie vor sich und schwenkte sie hin und her, um die Spinnweben zu bekämpfen, während sie auf die nächstgelegenen Fensterläden zustrebte, die nach siebzehn Jahren ein wenig morsch waren. Als Evelinde sie öffnete, flutete Sonnenlicht den Raum. Der plötzliche Luftzug wirbelte Staub und Spinnweben auf und trieb diese als Wolke durch das Gemach.
Mildrede machte sich daran, einen zweiten Laden zu öffnen, und Evelinde wollte sie gerade davon abhalten, um nicht für noch mehr Durchzug zu sorgen, doch da drang ihr die Staubwolke bereits in Nase und Mund. Ihr Niesen ging in einen Hustenanfall über.
Sie wandte sich dem Fenster zu, das sie gerade geöffnet hatte, und sog tief die klare Luft ein. Sobald der Hustenreiz abgeklungen war, ließ sie ihren Blick durch das Innere des Gemachs gleiten.
Beinahe wünschte sie, sie hätte die Fensterläden nicht geöffnet. Im Fackelschein hatte der Raum nicht annähernd so verwahrlost gewirkt wie nun im erbarmungslosen Sonnenlicht, das durch die Fenster drang.
Es war nicht zu übersehen, dass das Gemach in den siebzehn Jahren, die seit Jennys Tod vergangen waren, nicht mehr genutzt worden war. Jeder einzelne Tag hatte seine Spuren hinterlassen und sich in dem alles bedeckenden Staub niedergeschlagen. Die üppigen Spinnweben bewegten sich in der Brise, und die Binsen auf dem Boden waren entweder halb verrottet oder steinhart geworden. Noch immer lag über allem der modrige Geruch.
»Das wird harte Arbeit«, murmelte Mildrede.
Etwas in ihrer Stimme ließ Evelinde aufmerken, und sie hob die Augenbrauen, als sie sah, dass die Magd zur Decke hinaufschaute, ohne Zweifel auf der Suche nach der Stelle, an der Jenny sich erhängt hatte. Auch Evelinde hatte sich vorzustellen versucht, wo es wohl geschehen war. Und nun – wo sie den Raum zum ersten Mal wieder betrat, seit sie von Jennys Tod erfahren hatte – sah sie ihn mit ganz neuen Augen. Schließlich aber entschied sie, dass sie es gar nicht so genau wissen wollte. Also wandte sie den Blick von der Decke ab und richtete ihn auf die Binsenstreu. Saubere Binsen mussten her. Die alten zu entfernen, würde den Gestank erheblich mildern. Allerdings würden sie sich dabei in wahren Vorhängen aus Spinnweben verfangen, sofern sie diese nicht zuerst
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