Der Teufel von Garmisch
Vater lügt also?«, fragte Hessmann.
»Sieht so aus. Und der Sohn hat sein Handy ausgeschaltet.«
»Motivlage?«
»Eskaliertes Stalking. Wir vermuten, dass der Sohn die Berghofer
über längere Zeit belästigt hat.«
Hessmann bewegte seinen Drehstuhl hin und her und sah nachdenklich
zur Decke. »Ich denke«, sagte er dann, »ich denke, es ist besser, wenn ich ab
jetzt die Leitung der Kommission ›Teufel‹ übernehme.«
Schwemmer sah Hessmann ungläubig an. Er traute seinen Ohren nicht.
»Das Tagesgeschäft ist umfangreich genug«, sagte Hessmann. »Ich
denke, es wird Ihnen gewiss entgegenkommen, wenn ich Ihnen diese
Zusatzbelastung abnehme.«
»Hören Sie, Herr Hessmann, übertreiben Sie es nicht«, sagte
Schwemmer ruhig. »Wenn Sie Wert drauf legen, mach ich eben Dienst nach
Vorschrift. Aber erst nachdem ich diesen Fall geklärt habe. Wenn Sie mich
loswerden wollen, sagen Sie es mir einfach. Dann weiß ich, woran ich bin.«
Hessmann schien ernsthaft erschrocken. »Aber Herr Kollege«, sagte
er. »Da haben Sie aber etwas in den falschen Hals bekommen.«
»Kein Wunder«, sagte Schwemmer. »So dick, wie der ist.«
* * *
Sebastians Herz klopfte in seinem Hals. Er wäre schneller
gefahren, viel schneller, aber der Verkehr ließ es nicht zu. Er durfte auch
nicht riskieren, der Polizei aufzufallen. Dabei war er kaum in der Lage, einen
klaren Gedanken zu fassen.
Wieso war auf dem Smartphone eine Überwachungssoftware? Ob Lerchl
die bei allen Geräten seiner Leute aufgespielt hatte? Oder hatte Selbach es
präpariert?
Natürlich! Er hatte gewusst, dass Carina nur noch ein Gerät auf
Lager hatte, und er hatte dafür gesorgt, dass
Sebastian es bekam.
»Es wäre für mich einfacher.« Das waren seine Worte gewesen, als Sebastian
ihn gefragt hatte, warum er eins haben musste.
Aber viel wichtiger war die Frage: Was hatte Selbach bei Carina vor?
Oder was hatte er bereits getan?
Sie lebte allein mit ihrer Mutter. Wer weiß, vielleicht saßen die
drei jetzt beim Kaffee zusammen, und Selbach wartete auf die passende
Gelegenheit, ihnen in die Augen zu schießen.
Mit seinem Colt Anaconda.
Oder mit welcher Waffe auch immer. Er hatte ja genug.
»22er Rigarmi. Halbes Kaliber wie der Colt, aber genauso tödlich.
Vorausgesetzt, man trifft. Es geht immer ums Treffen.«
Sebastian knirschte mit den Zähnen. Es ging nicht voran. Zwischen
Gerold und Garmisch hatte er Gas geben können, aber schon vor den Kurven zum
Ortseingang hinunter war es damit vorbei. Lkws und Trecker, Trecker und Lkws,
es schien, als habe sich jedes langsame Fahrzeug aus Garmisch-Partenkirchen
aufgemacht, vor ihm herzufahren. Er fluchte aus vollem Hals, schrie die Wagen
an, die vor ihm herzockelten, und immer wieder dachte er:
Vier Schuss.
Endlich erreichte er den Kreisverkehr vor dem Tunnel und gab Gas,
aber schon ein paar hundert Meter später hing er wieder fest hinter einem
Wohnmobil mit Hamburger Kennzeichen, das mit achtzig einen portugiesischen
Kleinwagen überholte, der achtundsiebzig fuhr.
Die Uhr an seinem Armaturenbrett zeigte neunzehn Uhr fünfunddreißig.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er unterwegs war – es kam ihm endlos vor, aber
es konnte kaum mehr als eine halbe Stunde gewesen sein. Die Dämmerung war
längst in Dunkelheit übergegangen. Endlich erreichte er die Autobahn. Er gab
Vollgas bis zur nächsten Ausfahrt. Der kleine Motor tat, was er konnte, aber es
war bei Weitem nicht genug für Sebastian. Mit quietschenden Reifen fuhr er in
Eschenlohe die Ausfahrt hinunter und wieder auf die Bundesstraße. Er passierte
den Abzweig zu Selbachs Haus. Der Gedanke, sich dort mit Munition zu versorgen,
keimte in ihm auf, aber er verwarf ihn wieder. Er hatte keine Ahnung, wie er in
das Haus reinkommen sollte. Es hätte auf jeden Fall Zeit gekostet. Zeit, die er
nicht hatte.
Am Ortseingang zwang ihn der Verkehr wieder vom Gas. Hinter dem
Tunnel ging es nach links, wieder quietschten die Reifen, als er den Kreisel
umrundete und unter der Bahntrasse entlangfuhr. Er fuhr die Kohlgruber Straße
hinauf und bog am Ortsausgang links ab. Die Software hatte Selbachs Handy ein
gutes Stück südlich der Straße geortet, aber nach kaum hundert Metern war die
Bebauung zu Ende. Ein Schild verbot die Weiterfahrt außer für Land- und
Forstwirtschaftsverkehr. Und für Anwohner.
Sebastian fuhr weiter. Der Weg führte steil abwärts und überquerte
die Bahnlinie. Die Scheinwerfer seines Wagens erhellten die schlammige
Fahrspur. Rechts und links war in
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