Der Teufel von Garmisch
Gedanken. Anderes ließ sie nicht zu. (»Genau
wie dein Großvater«, hatte ihre Mutter gesagt, als sie ihr einmal davon erzählt
hatte.)
Aber dieser Mann lehnte in einer derart lässig-coolen
Art am Empfangstresen, dass ihre professionellen Gedanken ihn sofort zu einem
Zechpreller stempelten. Sie wusste ja jetzt, wie die aussahen. Obwohl der
vorletzte, mit dem sie es zu tun gehabt hatte, ganz anders ausgesehen hatte als
der Betriebsratsvorsitzende.
Der Mann am Tresen sah ihr freundlich entgegen. Aber
in seinem Blick stand zugleich die Botschaft, dass er Freundlichkeit eigentlich
nicht nötig hatte.
Der Mann konnte auch anders.
Er war schlank und einen Kopf größer als Magdalena,
was ihr grundsätzlich immer gefiel. Er hatte dichtes, kurz geschnittenes
dunkles Haar und trug zu ihrem Bedauern eine sehr dunkle Sonnenbrille. Sie
schätzte ihn auf Ende dreißig. Sein Anzug wirkte schlicht, aber umwerfend: Der
dunkelgraue, leicht grobe Stoff fiel elegant und dabei wie unabsichtlich an ihm
herab. Und er trug einen Gehrock, was sie bei den meisten Männern affig fand;
aber der Mann machte den Eindruck, als trage er selbstverständlich nie etwas
anderes.
»Grüß Gott«, sagte Magdalena und trat hinter den
Tresen. »Was können wir für Sie tun?«
Eigentlich hatte sie diesen Satz wegen übergroßer
Abnutzung aus ihrem Repertoire gestrichen. Aber nach einem frühen Vormittag mit
einem schießwütigen Großvater und einem Zechpreller hatte sie gerade keine
bessere Phrase parat.
»Ein Maximenü mit ‘ner Cola«, antwortete der Mann denn
auch prompt, und Magdalena musste sich zu einem Lächeln zwingen, das weit
verkrampfter ausfiel als beabsichtigt.
Aber dann nahm der Mann seine Sonnenbrille ab.
Als Magdalena in die braunen, von goldenen Sprenkeln
durchsetzten Augen blickte, war es ihr egal, ob er ein Zechpreller oder ein
Proktologe war.
»Entschuldigen Sie den schlechten Scherz bitte; er ist
mir so rausgerutscht«, sagte er. »Kant. Jo Kant. Ich hatte reserviert.«
»Ja … natürlich … Herr Kant aus Düsseldorf.« Magdalena
tippte auf dem Tresen-Laptop rum, als brauche sie eine Bestätigung, dabei
konnte sie die Reservierungen der nächsten vierzehn Tage im Schlaf daherbeten.
»Wir … hatten Sie so früh nicht erwartet. Ihr Zimmer ist auch schon frei, wir
müssen nur noch … neue Handtücher aufhängen«, sagte sie. »Mögen Sie vielleicht
vorher ein Frühstück?«
»Gern. Kaffee, Orangensaft, zwei Rühreier mit
Schafskäse, Roggenbrot, Butter und eine F.A.Z. «
Kant legte seinen Schlüsselbund auf den Tresen. »Und kümmern Sie sich bitte um
mein Gepäck. Mein Wagen steht auf dem Parkplatz. Ist nicht zu verfehlen, steht
direkt neben dem Streifenwagen. Es ist nicht der Subaru.«
* * *
EKHK Balthasar Schwemmer schloss die Seitentür der Polizeiinspektion an der
Münchener Straße auf und stieg auf seine ruhige Art die Treppe in den ersten
Stock hinauf. Er grüßte freundlich eine entgegenkommende Kollegin von den
Uniformierten, die ihm respektvoll Platz machte. Oben im Flur wäre er fast mit
Oberkommissar Schafmann zusammengestoßen, der aus seinem Büro stürmte und
offenbar etwas sehr Wichtiges zu tun hatte. Schafmann warf ihm nur ein
flüchtiges »Grüß Gott!« zu und lief den Gang entlang. Schwemmer blickte ihm
mäßig interessiert hinterher und sah ihn in der Herrentoilette verschwinden.
Er betrat sein Büro. Nachdem er seinen Mantel
aufgehängt hatte, öffnete er die Tür zum Vorzimmer und begrüßte Silvia Fuchs,
die Sekretärin.
»Kaffee?«, fragte Frau Fuchs mit ihrem thüringischen
Zungenschlag, und Schwemmer nickte.
»Und Schafmann soll mal reinkommen, falls er wieder
auftaucht …«
Er schloss die Tür und setzte sich an seinen
Schreibtisch. Er hatte seinen Stuhl noch nicht richtig zurechtgeschoben, als
schon das Telefon klingelte.
Es war Hauptkommissar Dengg von den Uniformierten, der
einen Fall von Zechprellerei übergeben wollte, da es sich um einen erheblichen
Betrag handelte und der Verdächtige bereits bundesweit zur Fahndung
ausgeschrieben war. Er hatte seinen Mercedes mit einer gestohlenen Kreditkarte
angemietet und nie zurückgegeben. Schwemmer bat darum, ihm das Protokoll zu
bringen.
Dann blätterte er die seit gestern angefallenen Akten
durch, die sich mit wenig Schlimmerem als Marihuanahandel in kleinen Mengen
befassten. Um diese Jahreszeit gab es in Garmisch nicht mal Skidiebstähle, und
auf den versprochenen Anstieg der Kriminalität durch die Grenzöffnung zu warten
hatte
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