Der Teufel von Garmisch
starrte in die Dunkelheit. Lange.
DREI
Sebastian zuckte zusammen, als sich die Tür seines Büros nach
einem einmaligen kurzen Klopfen öffnete und Dr. Lerchl hereingestürmt kam.
Sein Chef hatte die unangenehme Eigenschaft, gelegentlich
unangekündigt nach dem Rechten zu sehen. Sicher, es war seine Firma, man konnte
es ihm kaum verwehren, aber das Gefühl, dass er jederzeit auftauchen konnte,
war kein angenehmes, obwohl Sebastian normalerweise nichts zu verbergen hatte.
Er leistete gute Arbeit, und Dr. Lerchl wusste das auch zu schätzen. Er
brauchte Leute wie ihn. Fähig, mit wenig Profilierungsdrang. Vielleicht hatte
er ihm deshalb nie Hoffnungen auf eine Beförderung gemacht.
Heute hatte Sebastian allerdings einiges zu verbergen. Er war sich
sicher, dass in seinem Gesicht für jedermann zu lesen war, was er gestern Nacht
getan hatte. Deswegen war er hier, in seinem Büro. Hier fühlte er sich sicherer
als zu Hause, wo ihn sein Vater misstrauisch beäugte und seine Ausflüchte mit
»Schmarrn« kommentierte. Sicherer als irgendwo sonst.
Aber nun stand Dr. Lerchl vor ihm.
Sebastian versuchte, so entspannt und normal wie möglich zu schauen,
aber er spürte, dass es ihm nicht gelang.
»Herr Polz …« Dr. Lerchl hatte fröhlich begonnen, aber als er
Sebastian ansah, stockte er. »Mein lieber Herr Polz, sind Sie sicher, dass Sie
schon wieder fit sind?«
»Passt schon«, sagte Sebastian.
Hinter Dr. Lerchl hatte ein groß gewachsener, schlanker Mann
von Ende dreißig sein Büro betreten. Er trug ein Sakko zur Jeans, einen kurzen
schwarzen Vollbart und sah Sebastian freundlich aus dunkelbraunen Augen an.
»Ich wollte nur kurz einen neuen Kollegen vorstellen:
Diplom-Ingenieur Volker Selbach. Er fängt heute bei uns im Marketing an. Ich
führ ihn grad durch unser Team.« Er wandte sich dem neuen Kollegen zu. »Herr
Polz ist eine der Stützen im Development. Bei allem, was mit Stangenoptimierung
und Datenrückerfassung zu tun hat, wenden Sie sich vertrauensvoll an ihn. Und
bei Problemen mit der Modularstruktur auch … eigentlich können Sie ihn alles
fragen, nicht wahr, Herr Polz?«
»Äh … ja«, sagte Sebastian und nickte Selbach zu.
Der hielt ihm die Hand hin. Sebastian ergriff sie und hatte das
Gefühl, in eine Stahlbiegemaschine zu fassen.
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagte Selbach mit einem Lächeln. »Ich
werde zu Anfang gewiss eine Menge Fragen haben, zu allem und jedem, nehm ich
an. Da werden wir viel miteinander zu tun haben. Ich bin für jede Unterstützung
dankbar.«
»Das ist schön.« Sebastian war froh, als Selbach seine Hand losließ.
Dr. Lerchl sah ihn noch einmal forschend an. »Waren Sie beim
Arzt?«, fragte er. »Sie sehen wirklich nicht gut aus.«
»Ich, äh … es geht schon. Gestern war schlimmer.« Sebastian stieß
ein gepresstes Lachen aus.
»Ach wissen S’, Herr Dr. Lerchl«, sagte Selbach fröhlich,
»es gibt Zeiten und Gelegenheiten, da muss ein junger Mann sich seine Falten
verdienen.« Er zwinkerte Sebastian zu. »Nichts für ungut, Herr Kollege.«
»Herr Polz hat eine Menge Humor«, sagte Dr. Lerchl.
Sebastian hatte nicht die geringste Ahnung, wie Lerchl darauf kam.
»Dann gehen wir mal rüber zum Support«, sagte Dr. Lerchl.
Mit einem freundlichen Winken verabschiedete sich Selbach. Lerchl
wandte sich an der Tür noch einmal zu Sebastian um.
»Wie lange ist die Frau Berghofer eigentlich noch in Urlaub?«,
fragte er. »Mit ihr wird Herr Selbach ja hauptsächlich zusammenarbeiten.«
»Ich … wusste gar nicht, dass sie Urlaub hat.« Das stimmte offiziell
sogar.
»Na, sei’s drum.« Dr. Lerchl folgte dem neuen Kollegen hinaus.
Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, atmete Sebastian tief durch.
Nervös sah er das Telefon auf seinem Schreibtisch an und sein Handy, das
daneben lag. Während des gesamten Besuchs war er in Angst gewesen, eines der
Geräte würde klingeln und er müsste den Anruf des »Unbekannten Teilnehmers«
ablehnen. Er hatte keine Ahnung, wie die Stimme darauf reagieren würde.
Keineswegs freundlich, war anzunehmen.
Er zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Seit dem Anruf in Sannes
Wohnung gestern Nacht hatte das Gerät beharrlich geschwiegen. Er hatte
eigentlich mit einem Anruf gerechnet, nachdem er das Haus wieder verlassen
hatte, aber es war keiner gekommen.
Es war ein entsetzliches Gefühl gewesen, die alte Frau tot auf dem
Boden liegen zu sehen, mit Schaum vor dem Mund, am Fuß des Bettes, in dem die
blutbesudelte Sanne
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