Der Teufel von Herrenhausen
geschämt.«
»War sie
gewalttätig, wenn sie getrunken hatte?«, fragte Bergheim.
»Auf keinen Fall.
Sie war nur sehr … anhänglich.«
»Wie meinen Sie
das?«, fragte Charlotte.
Dr. Leineweber wand
sich. »Ich weiß nicht genau, wie ich das sagen soll, aber sie hatte die
Neigung, sich allen Männern an den Hals zu werfen, derer sie habhaft werden
konnte. Allerdings nur, wenn sie getrunken hatte. Im nüchternen Zustand war sie
umso schüchterner.«
Charlotte
betrachtete Dr. Leineweber. »Hat sie es bei Ihnen auch versucht?«, fragte sie
dann.
Leineweber
lächelte. »Zwangsläufig«, sagte er und setzte die Brille wieder auf.
Charlotte fand das
durchaus nicht. Auf sie wirkte Dr. Leineweber nicht besonders attraktiv, aber im
Gefühlsnotstand war frau vielleicht nicht so zimperlich.
»Wie haben Sie
reagiert?«, fragte sie.
Dr. Leineweber
seufzte. »Sie müssen wissen … bei psychisch labilen Patienten ist das nicht
ungewöhnlich, dass sie sich in den Therapeuten verlieben …«
Charlotte fragte
sich, ob Leineweber nicht ein bisschen übertrieb. »… darauf darf man sich
natürlich nicht einlassen. Und das hab ich auch nicht. Ich habe ihr
klargemacht, dass unsere Beziehung nur rein therapeutischer Natur sein kann – so
wie ich das immer tue in solchen Fällen.«
»Und«, fragte
Bergheim ungeduldig, »wie hat sie das aufgenommen?«
»Sie hat es
hingenommen. Was blieb ihr übrig, wenn sie hierbleiben wollte.«
Charlotte nickte.
»Hat Frau Frieder mit jemandem hier Freundschaft geschlossen? Mit wem hat sie
sich besonders gut verstanden?«
Leineweber dachte
einen Moment nach. »Mit ihrer Wohngenossin, Frau Haferkamp, soweit ich weiß,
aber die müssen Sie selbst fragen. Und sonst … wie ich schon sagte, fragen Sie
Frau Haferkamp.«
»Hat sie während
der Therapie mit jemandem Freundschaft geschlossen?«
»Keine Ahnung«,
sagte Dr. Leineweber. »Ihre stationäre Therapie war nach drei Monaten
abgeschlossen. Dann haben wir sie gleich in die Wohngemeinschaft übernommen.
Eine eigene Wohnung hatte sie nicht mehr, und zu ihrer Tochter wollte sie auf
keinen Fall, weil die gerade ein Baby bekommen hatte, und Platz genug hatte sie
wohl auch nicht.«
»Könnten Sie uns
ihren Krankenbericht überlassen?«, fragte Charlotte.
Dr. Leineweber
schürzte die Lippen. »Ich werde ihn raussuchen und Ihnen eine Kopie schicken.
Ich denke, das ist im Sinne der Verstorbenen.«
»Das denken wir
auch«, sagte Bergheim und erhob sich. »Könnten Sie uns jetzt bitte zu ihrer
Wohnung führen?«
»Natürlich«,
Leineweber erhob sich ebenfalls, »wir haben allerdings schon all ihre Sachen
zusammengepackt. Sie verstehen, die Warteliste für diese Wohnungen ist lang.«
Dr. Leineweber
führte sie an üppigen, rot blühenden Strauchrosen und großzügig bepflanzten
Kübeln mit gelben und orangefarbenen Wandelröschen vorbei, zu einem flachen
Backsteinbau. Innen war es dunkel und kühl. Sie gingen einen kahlen Flur
entlang, von dem rechts und links Türen abgingen. Von irgendwoher erscholl ABBA s »Dancing Queen«. An der letzten Tür auf der
linken Seite, der Quelle von »Dancing Queen«, klingelte Dr. Leineweber. Sie
warteten eine Minute, in der sich nichts rührte. Ohne Vorwarnung schlug
Dr. Leineweber mit der Faust gegen die Tür und schrie: »Frau Haferkamp, Sie
haben Besuch!« Dann wandte er sich entschuldigend an die beiden Beamten. »Sie
müssen entschuldigen, Frau Haferkamp liebt laute Musik.«
Charlotte und
Bergheim, die zusammengezuckt waren, warfen sich einen Blick zu.
»Tatsächlich«,
sagte Charlotte.
In diesem Moment
wurde die Tür von einer dürren Mittfünfzigerin in Jeans und schwarzem T-Shirt
aufgerissen. Der Geruch von Zigarettenrauch schlug ihnen entgegen. Frau
Haferkamp starrte die Besucher aus umschatteten Augen an.
»Was gibt’s?«,
fragte sie Dr. Leineweber.
»Die Herrschaften
sind von der Polizei –«
»Was?«, schrie
Frau Haferkamp dazwischen.
Dr. Leineweber
holte Luft und schrie zurück. »Das hier sind Polizisten aus Hannover. Sie haben
ein paar Fragen, wegen Frau Frieder.«
Frau Haferkamps
Blick verdunkelte sich, als sie Bergheim und Charlotte ansah.
»Oh, Kacke, Mann,
das tut mir echt leid, mit Jutta.«
»Können wir
reinkommen?«, fragte Charlotte.
»Was?«, fragte
Frau Haferkamp. »Warten Sie, ich stell mal die Musik leiser.«
»Gute Idee«,
murmelte Charlotte.
Zwei Sekunden
später kehrte wohltuende Ruhe ein, und Frau Haferkamp bat die beiden hinein.
»Wenn
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