Der Teufel von Herrenhausen
Baumwollbeutel mit Sämereien.
Als sie endlich in
der Gretchenstraße ankamen, gab es wie üblich keinen Parkplatz. Bergheim parkte
in zweiter Reihe, um die Kartons ausladen zu können. Es würde ein langer Abend
werden. Sie wollten sich schon mal einen groben Überblick über die
Hinterlassenschaft der Ermordeten verschaffen, bevor sich die Kriminaltechnik
damit befasste.
Charlotte schloss
die Haustür auf, und dann wuchteten sie die beiden Kartons vor den Fahrstuhl.
Es dauerte eine Weile, bis die behäbige Kabine die zwei Stockwerke nach unten
bewältigt hatte, und als Bergheim endlich die Tür öffnete, fiel ein dunkel
bekleideter Arm heraus.
Bergheim
erstarrte. In der Kabine lag reglos das junge Mädchen aus dem zweiten Stock.
Charlotte ließ den Karton, den sie angehoben hatte, wieder fallen, während
Bergheim den Puls suchte. Dann hob er sacht ihren Kopf und klopfte ihr auf die
Wange.
»Hallo, können Sie
mich hören?«
Vivian Schleich
schlug schwerfällig die Augen auf und blinzelte verwundert in die zwei
Gesichter, die sie anstarrten. »Was … was ist passiert, wieso …?«
»Wie fühlen Sie
sich? Haben Sie Schmerzen?«, fragte Bergheim, während Charlotte bereits nach
ihrem Handy suchte.
Vivian runzelte
die Stirn. »Nein, ich hab keine Schmerzen, lassen Sie mich einfach aufstehen.«
Dabei versuchte sie sich von Bergheim loszumachen, der hielt sie aber
unnachgiebig fest.
»Sie sind wohl
ohnmächtig geworden. Wenn Sie aufstehen möchten, sollten Sie das langsam tun,
okay?«
Vivian nickte und
setzte sich auf. »Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte Charlotte.
»Bloß nicht«, rief
Vivian und fügte dann leise hinzu: »Ich geh nach Hause und leg mich ein
bisschen hin. Hab bei dem Wetter immer Kreislaufprobleme.«
Bergheim nickte
schweigend und half dem Mädchen auf die dürren Beine.
»Ich bringe Sie
hoch«, sagte er und wandte sich an Charlotte. »Bleibst du bei den Kartons?« Sie
nickte und er schloss die Tür.
Es dauerte fast
eine Viertelstunde, bis Bergheim zurückkam. Als er aus dem Fahrstuhl trat,
guckte er beklommen. »Hast du gesehen, wie mager das Mädchen ist?«
»Allerdings«,
sagte Charlotte. »Da stimmt was nicht. Vielleicht sollte ich mich mal mit der
Mutter unterhalten.«
»Das solltest du
unbedingt«, sagte Bergheim.
Nachdem sie die
Kartons im Wohnzimmer deponiert hatten, steuerte Charlotte Richtung Badezimmer.
Sie zog ihr T-Shirt aus, riss die Tür auf und stand im nächsten Moment Jan
gegenüber, der – sein Notebook auf den Knien – auf der Toilette saß. Er hob kurz
den Blick, musterte sie und wandte sich dann wieder seinem Bildschirm zu.
»Kannst du nicht
anklopfen?«, fragte er.
Charlotte presste
ihr T-Shirt vor die Brust. »Kannst du nicht abschließen?«, schoss sie zurück.
»War ja keiner
da.«
»Bist du fertig?«
»Gleich.«
»Was heißt
gleich?«
»In zwei Minuten.«
»Okay«, sagte
Charlotte und nahm vorsichtshalber den Schlüssel aus dem Schlüsselloch, bevor
sie die Tür von außen schloss. Dann ging sie in die Küche und fluchte leise,
als sie das offene Nutellaglas und die vier nougatverschmierten Messer auf dem
Tisch liegen sah. Sie nahm die Messer und räumte sie in den Spülautomaten. Dann
nahm sie die restlichen sauberen Messer aus der Besteckschublade, versteckte
sie unter den Geschirrtüchern und ging zurück zum Badezimmer.
»Die zwei Minuten
sind um«, sagte sie und ging, ohne anzuklopfen, hinein.
Jan saß
unverändert auf der Toilette. Charlotte ging zu ihm, nahm das Notebook, ging
damit zu seinem Zimmer und stellte den Computer vor die Tür. Sie hatte keine
Lust, Jans Deponie zu betreten. Auf dem Rückweg zum Bad kam der Junge ihr
entgegengeschlurft und ging wortlos an ihr vorbei.
Bergheim stand
derweil in der Küche, belegte ein paar Toastbrote mit Käse und Schinken,
öffnete ein Glas saure Gurken und zwei Flaschen Herrenhäuser, stellte alles auf
ein Tablett und trug es ins Schlafzimmer.
Wenig später saßen
sie kauend auf dem großen Bett. Charlotte betrachtete ein paar Fotos und
Ansichtskarten, Bergheim blätterte in einem Ordner. Die Tote hatte alle
Verdienstbescheinigungen und Rechnungen der letzten zwei Jahre sorgfältig
abgeheftet. Ihre Kontoauszüge aus dieser Zeit waren lückenlos. Ihr Vermögen
belief sich auf achthundertsechsundfünfzig Euro, ihre Schulden auf knapp
vierundzwanzigtausend Euro.
»Am 22. Juli hat
sie dreihundert Euro abgehoben. Das war einen Tag, bevor sie auf der Hochzeit
der Hofholts aufgetaucht ist«,
Weitere Kostenlose Bücher