Der Teufel von Herrenhausen
die
Schreibtischschubladen, fand aber nichts, was er mit dem Verschwinden des Jungen
in Verbindung hätte bringen können.
Er verließ das
Zimmer und ging zurück ins Wohnzimmer, wo das Ehepaar Wegener schweigend
wartete.
»Hatte Ihr Sohn
keinen Computer?«, fragte Bergheim.
»Doch«, sagte der
Mann, »aber der ist auch weg.«
Bergheim nickte nur.
»Und ein Handy?«
»Natürlich, aber
es ist ausgestellt. Was glauben Sie, wie oft wir versucht haben, ihn zu
erreichen?«
»Können Sie mir
eine Liste seiner Freunde zusammenstellen?«, fragte Bergheim.
»Aber die haben
wir alle schon durchtelefoniert«, schniefte Frau Wegener. »Die wissen alle
nicht, wo er ist.«
»Trotzdem«, sagte
Bergheim. »Wir werden ein Bewegungsprofil des Handys erstellen und in der
Schule Erkundigungen einziehen.«
Frau Wegener
blickte Bergheim an. »Glauben Sie, dass wir ihn finden?«
Bergheim nickte.
»Sein Computer ist weg. Wahrscheinlich ist er einfach nur abgehauen und hat ihn
mitgenommen. Vielleicht hat er Liebeskummer.«
Herr Wegener
schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Timon hätte mit uns darüber
gesprochen.«
Bergheim sah den
Mann eine Weile schweigend an.
»Glauben Sie das
wirklich?«, fragte er dann.
Herr Wegener hob
erstaunt die Brauen. »Natürlich«, sagte er dann im Brustton der Überzeugung.
Bergheim zuckte
mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«
Er wartete noch,
bis Herr Wegener ihm eine Liste mit Telefonnummern, eine Beschreibung von
Timons Kleidung und ein Foto gegeben hatte. Als Erstes würde er sich seinen
besten Freund Eric vorknöpfen.
Eric Bach war
schon seit dem Kindergarten mit Timon Wegener befreundet. Jedenfalls hatten das
die Wegeners gesagt.
Bachs bewohnten
eine Altbauwohnung in der Kollenrodtstraße, und Bergheim beschloss, die wenigen
hundert Meter zu Fuß zu gehen. Er ging über die Wöhler- in die Röntgenstraße
und bog dann rechts in die Kollenrodtstraße ein. Die Familie bewohnte den
ersten Stock in einem attraktiven Altbau, und um kurz vor sechs drückte
Bergheim auf die Klingel.
Einige Sekunden
später knatterte die Stimme eines Jungendlichen durch die Sprechanlage. »Wer
ist da?«
»Bergheim mein
Name«, sagte Bergheim. »Wir haben telefoniert.«
Dieser Aussage
folgte sekundenlanges Schweigen. Dann brummte der Türsummer. Bergheim ging die
breite, glänzende Holztreppe hinauf. Es roch nach Reinigungsmittel. Ein
grauhaariger Mann und ein lahmer Dackel quälten sich die Stufen hinunter.
In der Tür
erwartete ihn ein hochgewachsener, schmächtiger Jugendlicher in Jeans und
dunklem T-Shirt. Die blonden Haare waren von einem Seitenscheitel quer über den
Kopf frisiert und verdeckten die Augen fast vollständig. Bergheim musste
unwillkürlich an seinen alten Onkel Friedrich denken, der auf diese Weise
versucht hatte, seine Glatze zu verdecken. Er schüttelte innerlich den Kopf.
Wieso hatten die jungen Leute bloß das Bedürfnis, ihr Gesicht zu verstecken? Er
versuchte sich daran zu erinnern, wie er selbst im Alter von fünfzehn Jahren
ausgesehen hatte, und stellte verblüfft fest, dass es ihm nicht gelang.
Eric Bach musterte
ihn kritisch, und Bergheim kam seiner Bitte zuvor und hielt ihm seinen Ausweis
hin.
»Kommen Sie rein«,
sagte Eric, »meine Eltern arbeiten beide und kommen meist erst spät heim.«
Er führte Bergheim
in ein unaufgeräumtes Wohnzimmer mit dunklen Möbeln. Die Fenster waren länger
nicht geputzt worden, und es gab außer einem Gummibaum neben dem dunklen
Ledersofa keine Blumen im Zimmer. Die Luft war stickig. Alles war praktisch und
hätte durchaus wohnlich sein können. So aber wirkte es vernachlässigt.
»Wo arbeiten deine
Eltern?«, fragte Bergheim, während er sich umsah. »Ich darf doch Du sagen?«
Eric nickte.
»Beide bei Volkswagen«, sagte er dann. »Aber meine Mutter erst seit einem
Jahr.«
»In Wolfsburg?«,
fragte Bergheim erstaunt.
»Ja«, sagte Eric.
»Wieso zieht ihr
dann nicht nach Wolfsburg?«, wollte Bergheim wissen.
Der Junge zuckte
die Achseln. »Weil ich hier erst die Schule zu Ende machen soll.«
Bergheim nickte
und begann zu verstehen. Achtzig Kilometer nach Wolfsburg und wieder zurück,
und das jeden Tag. Kein Wunder, dass niemand Zeit zum Putzen hatte.
»Setzen wir uns
doch«, sagte er dann und räumte ein paar Zeitungen vom Sofa.
Eric ließ sich in
einen Sessel fallen und musterte Bergheim schweigend.
»Hast du eine
Ahnung, wo Timon ist?«, fragte er und beobachtete sein Gegenüber genau.
Eric räusperte
sich. »Nein,
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