Der Teufel von Herrenhausen
verstellte
ihm den Weg.
»Seit wann kennst
du sie?«
Jan zuckte mit den
Schultern. »Weiß nicht, seit zwei Stunden. Da hat sie geklingelt und wollte
Papa sprechen.«
»Und wieso ist sie
noch hier?«, wollte Charlotte wissen. »Rüdiger war doch nicht da.«
Jan guckte
erstaunt an ihr vorbei und biss in sein Toastbrot. »Weiß ich, ehrlich gesagt,
auch nicht«, kaute er halblaut. Dabei fielen Toastbrotkrümel mit Nougatcreme
auf den Fußboden. »Ich glaub, sie wollte auf ihn warten.«
Charlotte riss die
Augen auf. »Die ganze Zeit? Und was macht sie in deinem Zimmer?«
»Guckt mir beim
Computerspielen zu.« Damit quetschte er sich an Charlotte vorbei und watschelte
zu seinem Zimmer zurück.
Charlotte folgte
ihm. Vivian Schleich saß auf Jans Bett, den Computer auf den Knien, und
wartete.
»Hallo«, sagte
Charlotte und blickte in zwei riesige Augen.
»Hallo«,
antwortete Vivian und lächelte Jan an, der kaum Notiz von ihr nahm.
»Ähm …« Charlotte
wusste nicht, was sie sagen sollte, und schloss die Tür von außen.
Was, zum Kuckuck,
trieb Rüdiger so lange?
Sie ging zurück
zum Balkon, aß und trank, schaute auf die Balkone der gegenüberliegenden Häuser
und beobachtete ein Pärchen im zweiten Stock schräg gegenüber. Er steckte ihr
irgendwas in den Mund. Sie kicherte. Halb zehn.
Charlotte sprang
auf, ging zu Jans Zimmer, klopfte an und öffnete die Tür.
Die beiden saßen
immer noch auf dem Bett, Jan hatte sein Notebook auf den Knien, und Vivian, die
Charlotte aus ihren großen Augen in dem kleinen Gesichtchen erstaunt anstarrte,
saß neben ihm.
Charlotte
lächelte. »Vivian, ich glaube, du solltest jetzt heimgehen. Ihr müsst ja beide
morgen zur Schule.«
Vivians Augen
verdunkelten sich. Sie stand aber gehorsam auf. »Bis morgen dann«, sagte sie.
»Okay«, nickte
Jan, ohne aufzusehen.
Charlotte
begleitete das junge Mädchen in den zweiten Stock und war dabei ständig in
Alarmbereitschaft, weil sie fürchtete, Vivian könnte jeden Moment erneut in
Ohnmacht fallen. Es war ihr unbegreiflich, wie so ein dürrer Körper zu
irgendwelcher Leistung – und sei es nur gemächlich eine Treppe hinabzugehen –
fähig sein sollte.
Vivian wollte
gerade aufschließen, als die Tür von innen geöffnet wurde und Bergheim
herauskam. Er fuhr zusammen, als er die beiden sah. »Äh … deine Mutter ist
eingeschlafen«, sagte er.
»Echt?«, sagte
Vivian. »Na ja, die ist eigentlich immer müde.«
»Na, dann gute
Nacht«, sagte Bergheim, nahm Charlottes Arm und zog sie hinter sich her die
Treppe hinauf.
»Was war denn
das?«, fragte Charlotte, als sie wieder in ihrer Wohnung standen.
Bergheim stieß
hart die Luft aus. »Ich hab keine Ahnung. Sie hat mir ihre ganze
Lebensgeschichte erzählt. Bin einfach nicht weggekommen.«
Charlotte musterte
ihn schweigend. Er hatte Wein getrunken und wirkte irgendwie schuldbewusst.
Aber vielleicht
sah sie auch Gespenster, immerhin hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht,
damals mit Thomas.
Er nahm sie
lächelnd in die Arme. »Du bist doch nicht eifersüchtig auf eine Frau, die Pumps
als Hausschuhe trägt?«
»Wie bitte?«,
sagte Charlotte und rümpfte die Nase. »Du riechst nach süßem Parfum. Und
Bulgari …«, das war Charlottes Lieblingsparfum, »… ist nicht süß.«
»Oh, der
Kommissarin entgeht nichts«, seufzte er und küsste ihren Hals.
Charlottes Zorn
verrauchte. »Du warst kein braver Junge«, raunte sie.
»Nein?«, flüsterte
er und knöpfte ihr Kleid auf.
»Du weißt doch,
was das für Folgen hat?«, hauchte sie und biss in sein Ohrläppchen. »Zur Strafe
darfst du nicht spielen.«
»Hey Leute, ich
brauch fünfzehn Euro«, schallte es von irgendwo aus Richtung Flur.
Bergheim und
Charlotte flogen auseinander.
»Lasst euch nicht
stören«, grinste Jan, »ich brauch nur fünfzehn Euro für ‘ne Klassenfahrt.«
»Hat das nicht bis
morgen Zeit?«, fragte Bergheim.
»Klar«, sagte Jan,
zuckte mit den Schultern und verschwand in seinem Zimmer.
Die beiden sahen
sich an und kicherten. Jan wohnte jetzt seit drei Monaten bei ihnen, aber sie
hatten sich immer noch nicht daran gewöhnt, nicht allein in der Wohnung zu
sein.
»Wir sollten auch
schlafen gehen«, sagte Charlotte, »und morgen erzählst du mir die
Lebensgeschichte von Frau Schleich.«
Bergheim verdrehte
die Augen. »Bist du verrückt? Hab ich doch alles wieder vergessen.«
SIEBEN
Nachdem sie Jan
bei seiner Schule abgesetzt hatten, fuhr Bergheim Charlotte zur Direktion, wo
sie in Marens
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