Der Teufel Von Muenster
überzeugt war sie davon nicht. Sie gab sich einen Ruck und stieg aus.
Dann ging sie bis zur Haustür und betätigte die Klingel.
An der Sprechanlage meldete sich jemand.
Eine Frau.
»Was wollen Sie?«
»Ich möchte mit Sarah Aufderhaar sprechen«, erklärte Anna und benutzte dabei den neutralsten, sachlichsten Tonfall, den sie mit Hilfe ihrer Stimmbänder zu erzeugen vermochte.
»Wer sind Sie denn?«
»Mein Name ist Anna van der Pütten, Diplom-Psychologin. Und ich komme in einer sehr persönlichen Angelegenheit, die ich schlecht hier am Sprechgerät mit Ihnen bereden kann. Deswegen wäre es nett, wenn Sie mir die Tür aufmachen würden.«
»Es tut mir leid, aber mir ist zurzeit nicht gut. Und deswegen …«
»Einen Moment!«, fiel Anna der Sprecherin ins Wort, aber es war bereits zu spät. Ein Knacken in der Leitung war noch zu hören, dann war die Verbindung unterbrochen. So schnell gedachte Anna nicht aufzugeben. Sie klingelte noch einmal, doch diesmal gab es keine Reaktion aus der Aufderhaar-Wohnung.
Anna blickte die Fassade empor und entdeckte einen Spiegel an einem der Fenster im Obergeschoss. Es schien sich um einen ganz gewöhnlichen Außenspiegel eines Autos zu handeln, der einfach an einer Fensterbank festgemacht und so ausgerichtet worden war, dass man aus dem oberen Stockwerk in die Haustürnische sehen konnte. Ein einfaches und sehr zuverlässiges System, musste Anna zugeben.
Sie beobachtet mich also, ging es Anna durch den Kopf. Vermutlich saß Sarah Aufderhaar – oder ihre Zwillingsschwester – jetzt am Fenster und sah auf sie herab.
Anna klingelte noch einmal. Wieder keine Reaktion.
Dann folgte Anna einem spontanen Gedanken, etwas, was sie normalerweise tunlichst vermied. Aber offenbar war ihre Neugier, was die Hintergründe dieses Falles anging, einfach inzwischen stärker geworden als ihr Hang zur Vorsicht und zu wohl abgewogenen, bestens vorbereiteten Handlungen. Jedenfalls stellte sie selbst überrascht fest, dass ihr Zeigefinger die Klingel von A. Gross bereits gedrückt hatte, noch ehe sie das Für und Wider wirklich bis ins Letzte abgewogen hatte.
Zunächst gab es auch hier keine Reaktion.
Anna blickte noch einmal auf und glaubte, in dem Spiegel irgendeine Bewegung zu sehen. Vielleicht war es nur eine Reflexion des Sonnenlichts oder der Schatten eines Vogels. Aber es konnte genauso gut sein, dass eine Beobachterin im zweiten Stock diese Veränderung ausgelöst hatte. Also doch, dachte sie.
Eigentlich hatte sie den Wagen so geparkt, dass man aus den Fenstern des Obergeschosses nicht sehen konnte, wer auf dem Beifahrersitz saß. Aber eine Garantie dafür, dass Sarah Aufderhaar Branagorn nicht doch gesehen hatte und nun einfach weder mit ihm noch mit seiner Stellvertreterin zusammentreffen wollte, gab es nicht.
Anna versuchte es ein letztes Mal, und diesmal drückte sie beide Klingeln. Sie fühlte sich an die Zeit erinnert, als sie noch keine zehn gewesen war und zusammen mit Freunden von Haus zu Haus gezogen war, um die Bewohner hervorzuklingeln und dann rechtzeitig zu verschwinden, ehe jemand kam. Pingelmännchen hatten sie das genannt. Anna hatte ein einziges Mal mitgemacht und dann noch wochenlang ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt.
Das surrende Geräusch, das im nächsten Moment von der Tür ausging, überraschte sie. Über die Sprechanlage hatte sich niemand gemeldet, stattdessen war einfach die Tür geöffnet worden. Anna drückte dagegen und trat in den Flur.
Ihr Blick glitt zunächst die Treppe hinauf, aber dann kam ihr im Erdgeschoss ein Mann im karierten Hemd entgegen.
»Guten Tag, wer sind Sie?«, fragte er und klemmte dabei seine Daumen hinter die Hosenträger, die er zusätzlich zu seinem Gürtel trug.
»Mein Name ist Anna van der Pütten, ich bin Kriminalpsychologin.«
»Wie bitte? Polizei?«
Anna überlegte einen Moment und entschied sich dann, ihrem Gegenüber einfach nicht zu widersprechen. Eine richtige Lüge war das schließlich nicht, und es bestand ja die begründete Hoffnung, dass ihr Schweigen in diesem entscheidenden Punkt die Kommunikation erheblich erleichtern würde. Juristisch sah das natürlich weniger gut aus, aber Anna sagte sich, dass sie darauf im Moment keine Rücksicht nehmen konnte. Wenn sie sich später wegen dieses Gesprächs verantworten musste, dann konnte sie immer noch behaupten, dass es sich schlicht und ergreifend um ein Missverständnis handelte. Jeder benutzte eben sein Gegenüber als Projektionsfläche für die eigenen
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