Der Teufel Von Muenster
ihm. Denkbar wäre natürlich auch hohes Alter, Übergewicht oder etwas Vergleichbares.«
»Wieso das?«, fragte Haller.
Friedrichs atmete tief durch, so, als wäre er genervt davon, seinen vergleichsweise unwissenden Mitmenschen etwas erklären zu müssen, und als verstünde er nicht wirklich, weshalb die anderen nicht selbst darauf kamen. »Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wie diese Abdrücke zustande gekommen sind. Es lastete auf jeden Fall sehr viel Gewicht auf der Hand. Da ist nicht einfach nur mal so an die Wand gepatscht worden. In dem Fall auf der Planwiese ist außerdem vorher auf die feuchte, grasbewachsene Erde gefasst worden. Das ist sicher. Ich denke Folgendes: Der Täter hat sowohl in der alten Jovel Music Hall vor sieben Jahren als auch auf der Telgter Planwiese das Opfer zuerst getötet und dann in eine sitzende Haltung gebracht. Anschließend rasierte er es, und dabei musste er in die Knie gehen oder hocken. Hinterher kam er aber offenbar nicht hoch, ohne sich abzustützen.«
»Also irgendein Problem mit dem Bewegungsapparat – im weitesten Sinne«, zog Anna ein Resümee.
Friedrichs nickte. »Ja, ich bin gerade mit einem Orthopäden in Kontakt, der mir da vielleicht ein paar Hinweise geben kann. Also wenn wir ganz konservativ argumentieren, könnte man so sagen: Der Barbier hat die Angewohnheit, sich beim Aufstehen abzustützen und irgendwo Halt zu suchen.«
»Und die Spuren können nicht während eines Kampfes entstanden sein?«, fragte Haller.
»Die beiden Toten selbst geben keine Hinweise, die in diese Richtung deuten, Herr Haller. Ich halte das für unwahrscheinlich.«
Haller seufzte. »Also müssen wir jetzt alle humpelnden Handschuhträger im Münsterland überprüfen – oder wie sehe ich das?«
»Lässt sich was zur Größe der Täterhand sagen?«, fragte Raaben.
Friedrichs nickte. »Größe sieben mit einem geschätzten Handumfang von 19,6 Zentimetern, würde ich sagen. Das entspricht der Größe S bei Männern, der Größe M bei Frauen und der Größe XL bei Kindern.«
»Mit anderen Worten: Der Handschuh passt jedem«, resümierte Haller.
»Ich möchte die Bilder gerne jemandem zeigen«, kündigte Anna an. »Auch das aus dem alten Jovel.«
»Aber nicht Ihrem Elbenkrieger«, verlangte Haller.
»Doch – genau dem.«
»Aber …«
»Herr Haller, er wusste es! Er hat auf einen Blick im Grunde dasselbe gesehen, was Ihr Kollege mit Hilfe seiner aufwendigen Methodik schließlich auch herausbekommen hat. Bitte!«
Haller seufzte. »Ende der Diskussion! Das kommt nicht in Frage. Und verlangen Sie nicht von mir, dass ich in Zukunft an Magie glaube!«
»Ganz sicher nicht. Aber dass Branagorn das Haar auf dem Boden gesehen hat, dass er diesen Abdruck und die Struktur erkannt hat … Das ist alles nicht so verwunderlich, wie Sie vielleicht denken.«
»Es reicht mir völlig, wenn die Psychologie mir erklärt, warum jemand Vater oder Mutter hasst oder jemanden umbringt. Ich brauche nicht auch noch wissenschaftliche Erklärungen für Dinge, die es nicht gibt«, sagte Haller jetzt schroff.
»Was ich meine, hat gar nichts mit Psychologie zu tun«, erwiderte Anna. »Und auch nicht mit Magie. Es geht einfach darum, dass er mehr sieht als andere.«
»Sag ich ja! Weiße Mäuse und so was!«
Friedrichs ergriff jetzt noch einmal das Wort, nachdem er sich schon zum Gehen gewandt hatte. »Ach ja, Herr Haller – es sitzt draußen noch jemand, der Sie gerne sprechen würde«, meinte er beiläufig. »Er sagt, er würde das letzte Opfer kennen.«
Haller hob die Augenbrauen. »Und das sagen Sie mir erst jetzt?«
Friedrichs zuckte mit den Schultern. »Es hat mich ja niemand gefragt.«
»Der Zeuge soll schon mal ins Zimmer 2 gehen.«
»Ich werde es ihm sagen«, versprach Friedrichs.
Zimmer 2 war ein spartanisch eingerichteter Besprechungsraum mit unbequemem Mobiliar. Dieses Mobiliar entsprach nicht einer besonderen Verhörtaktik, die die Folter durch unbequemes Sitzen und schmerzende Druckstellen im Gesäß sowie Rückenschmerzen bei längerer Dauer des Gesprächs schleichend wiedereinführen wollte. Es war schlicht eine Frage fehlender finanzieller Mittel. Anna war das schon unangenehm aufgefallen, als sie zum allerersten Mal ein längeres Gespräch mit einem Verdächtigen in diesen Räumlichkeiten hatte führen müssen und sich hinterher gefragt hatte, ob dessen Aggressivität nun wirklich Ausfluss einer soziopathischen Persönlichkeit oder vielleicht doch nur das unweigerliche
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