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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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lief es im Großen und Ganzen gut. Ich hatte Geld aus dem Wahlfonds, das ich ausgeben konnte, und ich konnte frei über meine Zeit verfügen, und Hopstill würde dafür sorgen, dass die Zeitungsjungen mir halfen.
    Natürlich ging Mercy nachts außer Haus; Krankheit und Not hielten sich nicht an Stundenpläne.
    Es war ein herrlicher Tag.
    Ich gab Hopstill die Adresse des Theaters in der Orange Street, und er gab mir das Versprechen, noch am Abend bei den Zeitungsjungen vorbeizuschauen. Der Trick besteht darin, nicht lockerzulassen, dachte ich, als Bird und ich wieder ins Sonnenlicht hinaustraten. Wenn du hartnäckig genug bist, ist es ganz egal, dass du nicht die geringste Ahnung hast, was du da eigentlich tust.
    *
    Nachdem ich Bird zu Mrs. Boehm gebracht hatte (die mir versicherte, sollte sie Silkie Marsh auch nur von weitem erblicken, werde sie jeden Eingang verriegeln und in ihrer Muttersprache so laut schreien, dass die Deutschen von nebenan gerannt kämen), ging ich zu dem behelfsmäßigen Leichenschauhaus in den Tombs, in der Hoffnung, Palsgrave noch dort anzutreffen, unermüdlich über medizinischen Beweisstücken grübelnd. Er war nicht da. Dafür beehrte George Matsell den großen Kellerraum mit seiner raumgreifenden und würdevollen Anwesenheit. Er betrachtete das, was ich jetzt auch sah, aufgereiht auf hastig errichteten Tischen. Und sagte kein Wort.
    Was sollte er auch sagen?
    »Dr. Palsgrave hat mir erzählt, der Brief, den er Ihnen gegeben hat, sei ein Werk des Wahnsinns«, bemerkte er dann. »Vielleicht hilft er uns ein Stück weiter.«
    »Ich hoffe es, auch wenn ich nicht wüsste, wie.«
    »Dann nehmen Sie ihn unter die Lupe. Dr. Palsgrave hat mir seinen Bericht ausgehändigt, er sagte, wenn Sie eine Erklärungbräuchten, könnten Sie in seiner Praxis vorbeikommen. Aber es ist nicht wirklich ein medizinischer Bericht. Klingt eher wie ein Text von diesem verrückten Poe.«
    Ich nahm die Blätter an mich, in der inbrünstigen Hoffnung, irgendeine Tatsache, die uns bisher entgangen war, könnte eine vernünftige Erklärung für das alles liefern. Dann hielt ich inne. Holte tief Luft. Denn neunzehn Leichen oder das, was davon übrig war, lagen auf Holztischen vor mir. Der Anblick war so weit von der schönen Vision allgemeiner Gesundheit entfernt, die Dr. Palsgrave vor kurzem vor mir ausgebreitet hatte, dass ich es kaum ertragen konnte, hinzusehen. Es waren so viele – Gott, so viele –, und sie waren so klein. Eigentlich sollte keines Menschen Leib so exponiert werden – aufgeschlitzt, offen für die Blicke aller. Ich musste an meine eigenen inneren Organe denken, Herz und Milz und Nieren, von unschätzbarem Wert nur für mich allein. Und es war mein sehnlichster Wunsch, unseren einzigen greifbaren Beweis der bösen Tat zurück unter die Erde zu bringen, wo das, was einst zart und verletzlich gewesen war, in Frieden ruhen konnte.
    »Zeigen Sie mir, wozu Sie fähig sind, Wilde«, sagte Polizeichef Matsell, als er den Raum verließ. »Ich warte.«
    Wie zerfleddert sie ausschauen , dachte ich. Ein Stückchen weiße Haut hier, ein Klumpen rotes Haar dort, und dann das glatte Weiß nackter Knochen.
    Ich schlug den Bericht auf. Ich nahm an, es war schwer gewesen, ihn zu schreiben. Sobald ich ihn gelesen hatte, hoffte ich das auch irgendwie.
    Von den neunzehn Leichen sind die ältesten fünf Jahre tot, die jüngsten erst vor kurzem gestorben, doch die einzelnen Todesursachen lassen sich nicht mehr nachweisen. Sämtliche Leichen weisen Anzeichen schwerer, post mortem zugefügter Gewaltanwendung auf – insbesondere ist das Sternum bei keiner Leiche mehr intakt, und der Brustkorb wurde in allen Fällen auseinandergerissen. Ich kann nur annehmen, dass der Täteran die Organe herankommen wollte. Wenn man einmal von der natürlichen Zersetzung absieht: in zwei Fällen fehlt das ganze Herz; in dreien die Leber; in vieren die Milz; in zwölfen der Hirnstamm; in zweien das Rückgrat. Ob das Tiere taten, bevor die Verwesung einsetzte, oder der Mörder sie haben wollte, bleibt unentscheidbar, doch ich halte keinen Umstand außer letzterem für plausibel.
    Wenn ich von der Annahme ausgehe, hier habe jemand absichtlich Kreuze in die Leichen gehauen, drängt sich mir durchaus die Frage auf, ob der Brief, den der Herald vor ein paar Tagen veröffentlicht hat, nicht vielleicht doch echt gewesen sein mag. Die Theorie von einem religiösen irischen Fanatiker würde die Gewalt, die diesen neunzehn toten Kindern angetan

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