Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
Vom Netzwerk:
Auseinandersetzung war, ganz gleich, wie beschäftigt wir mit dem Jungen auf dem Boden gewesen waren, ich kann es bis heute nicht glauben, dass ich, TimothyWilde, Mercys leichte Schritte nicht gehört hatte, bis sie fast schon neben uns stand. Ohne ihre Laterne, die Haare offen, das Gesicht blutleer wie der Mond. Ihre Augen starrten auf das letzte Opfer des Mörders. Doch ich fing sie auf, und als sie in Ohnmacht fiel, sagte sie noch etwas, das irgendwie genauso klang wie: »Timothy.«

19
    Und wir stellen erneut die Frage: Kann der römische Katholizismus die Religion Amerikas sein? Als religiöses System ist es ein Fossil aus dem finstersten Mittelalter, erdacht, um einem ungehobelten und abergläubischen Volke Furcht einzujagen, seine Hauptprinzipien stehen in direktem Widerspruch zur Religion der Bibel, welche die Religion der Vereinigten Staaten ist.
    Brief an Bischof Hughes der St.-Patrick’s-Kathedrale
    in New York.
    Hier folgt, was an jenem Sonntag, dem einunddreißigsten August, geschah, in den neunzehn Stunden, bevor New York City auseinanderbrach. Von fünf Uhr morgens an, als Mercy in die Kathedrale kam, während die aufgehende Sonne ihren scharlachroten Schein über die kalte, graue Haut des East River zu werfen begann, bis etwa Mitternacht, als das Streichholz die Lunte entzündete.
    Ich hatte die Ankunft der Polizisten verpasst, die den Auftrag hatten, die Leiche unauffällig in die Tombs zu schaffen. Pfarrer Sheehy hatte mir noch einmal seine Schlüssel ausgeborgt, und ich trug Mercy in sein Bett. Das Schlafzimmer war einfach und schlicht, an den Wänden hing religiöse Kunst: keine Mönchszelle, kahl belassen zur Ehre Gottes. Nach dem, was ich über Pfarrer Sheehy wusste, passte es gut zu ihm: fromm, kultiviert und aufrichtig. Das Bett stand an der Wand, ich schlug die Steppdecke zurück und legte meine Last auf einem Kissen ab.
    Mercys Augen öffneten sich ein wenig. Zwei blassblaue Streifen in einem wolkigen Himmel.
    »Marcas.« Ihre Stimme klang schrecklich angestrengt, obwohl sie noch gar nicht ganz bei Bewusstsein war. »Was ist geschehen?«
    »Es ist alles in Ordnung. Sie sind in Pfarrer Sheehys Zimmer. Aber ...«
    »Was ist mit Marcas geschehen, Mr. Wilde?« Jetzt war ein Schimmern in ihren Augen, das mich schier zerriss.
    »So heißt er also«, sagte ich. »Sie kennen ihn. Warum sind Sie hierhergekommen?«
    »War das ... hat man ihm das vorher angetan?«, fragte Mercy und biss sich so fest auf die Unterlippe, dass ich ihr gern meinen Fingerknöchel als Ersatz angeboten hätte.
    »Man hatte ihm Laudanum gegeben. Er hat nichts gespürt. Bitte, sagen Sie mir einfach, was mit Ihnen passiert ist.«
    »Wissen Sie, wer das getan hat?«
    »Noch nicht. Mercy, bitte .«
    Ihr dunkler Schopf fiel aufs Kissen. Sie gab sich solche Mühe, nicht zu weinen, dass es genügte, dass ich ihren Namen aussprach, und schon brachen alle Dämme. Auf mich hatte es fast denselben Effekt, als ich mich ihren Namen sagen hörte, aber einer von uns musste sich ja zusammenreißen. Und um ihretwillen konnte ich das.
    »Ich hörte Schreie auf der Straße«, flüsterte sie, »irische Stimmen. In der Dunkelheit. Dass ein Teufel sein Unwesen treibe und dass er St. Patrick’s geschändet habe.«
    Meine Haut wurde eiskalt. Jetzt war es egal, was in den Zeitungen stand. Alles, was wir unternommen hatten, um die Ermittlungen geheim zu halten, war vergeblich gewesen – jetzt waren wir so exponiert wie der arme tote Junge, den Blicken aller ausgesetzt.
    »Im Dunkeln zog ich mein Kleid und meinen Mantel an«, fuhr Mercy fort. »Ich – ich dachte, ich würde ihn vielleicht kennen, ich könnte vielleicht helfen. Und ich dachte, Sie wären dort. Dass wir womöglich etwas tun könnten.«
    Ein ganz eigennütziger Impuls ergriff von meinem Arm Besitz. Ich streckte ihn aus und ließ meine Hand in die ihre gleiten.Das geschah ohne Berechnung, aber es war keine tröstende Geste, sie war ganz allein für mich selbst. Mercys Finger waren kalt, und sie legte sie fest um meine.
    »Sein Name ist Marcas, aber nur, weil sie ihn so nennen. Und er hat nichts mit Silkie Marsh zu tun. Das Haus, aus dem er kommt, liegt fast am East River, da, wo die Corlears Street auf die Grand Street trifft. Es gibt dort nur Jungen. Ich habe ihn einmal gegen Keuchhusten behandelt. Als ich ihn sah, da ... Entschuldigung.«
    Im nächsten Moment weinte sie an meiner Schulter und versuchte, kein Geräusch dabei zu machen. Ich schlang meine Arme um ihren Rücken, ihr

Weitere Kostenlose Bücher