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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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offener Mund presste sich in meinen Mantel. Es ist nicht gerade ein Zeichen für Mitgefühl, wenn ich sage, dass dies der schönste Augenblick meines Lebens war. Aber mitten in diesem Alptraum, in den ich geraten war, war er das vielleicht tatsächlich.
    Sie beruhigte sich schnell wieder und errötete, als sie von mir abrückte. Ich ließ sie los und reichte ihr mein Taschentuch.
    »Ich möchte Ihnen gern meine Sicht der Dinge erläutern«, sagte ich ganz ruhig zu ihr. »Sie sind die einzige Person, bei der ich mir sicher sein kann, dass sie mich ausreden lässt.«
    Mercy seufzte düster. »Vielleicht sollte ich besser aus dem Bett aufstehen, bevor ich meinen fachmännischen Kommentar dazu abgebe.«
    Wir begaben uns in die Küche. Mein Kopf fühlte sich an, als sei er vollgepackt mit Feuerwerkskörpern, die nur darauf warteten, gezündet zu werden. Ich brauchte nicht lange, bis ich Pfarrer Sheehys Whiskey gefunden hatte. Die Flasche war noch zu einem guten Drittel voll und mit einer sechs Monate alten Staubschicht überzogen, und ich schenkte uns zwei großzügig bemessene Gläser ein.
    »Glauben Sie«, fragte ich sie, »dass man einen Grund zum Morden braucht?«
    »Im Kopf des Mörders muss es schon einen geben«, sagte sie bedächtig. »Warum sollte er es sonst tun?«
    »Wenn dem so ist«, fuhr ich fort, dankbar, dass sie schon wieder so weit bei sich war, um eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, »was ist dann in diesem Fall der Grund?«
    Mercy kniff die Augen zusammen. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und nahm einen Schluck Whiskey. »Religion«, behauptete sie staubtrocken.
    »Nicht Politik?«
    »Ist das in New York nicht dasselbe?«
    »Keineswegs. Überlegen Sie doch nur: Wenn ein Mann beschließt, im Geheimen Kinder zu ermorden und ihre Leichen zu verstümmeln, dann mag er das aus religiösen Gründen tun, oder vielmehr aus einem kranken, religiösen Wahn heraus. Aber nicht aus politischen Gründen. In der Politik gibt’s keine Geheimnistuerei. Da geht’s um Öffentlichkeit .«
    »Das ist richtig«, stimmte sie zu, »doch die Dinge haben sich ganz offensichtlich gewandelt, seit dieser ... dieser grausamen Inszenierung in der Kirche, meinen Sie nicht?«
    »Genau. Deshalb glaube ich ja auch, dass mit unserem Mann etwas geschehen ist. Vielleicht wird er nervös, weil wir ihm immer näher kommen. Vielleicht verschlimmert sich sein Zustand. Da gibt es noch einen Brief, der Dr. Palsgrave geschickt wurde und der genau das vermuten lässt. Vielleicht wollte er aus irgendeinem teuflischen Grund, dass Pfarrer Sheehy in die Sache hineingezogen wird. Ich weiß nur, dass dies hier schlimmer ist als alles zuvor, und ich glaube nicht, dass die früheren Morde aus politischen Motiven geschehen sind, egal, was im Herald darüber steht. Diese neue Grausamkeit hingegen verfolgt eine Absicht . Die Kreuze, die mit weißer Tünche rund um das Kind gemalt wurden, die ganze Inszenierung. Diese Grausamkeit sollte Aufmerksamkeit erregen.«
    Mercys Kiefer begann wieder zu arbeiten. »Ich nehme an, die Kathedrale war verschlossen. Wie ist er hineingekommen?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde es herausfinden, Ehrenwort.«
    Sie stand auf und leerte mit einer anmutigen Geste ihr Glas.»Ich bete darum, Mr. Wilde. Und jetzt muss ich gehen, ich habe das Haus in aller Eile verlassen.«
    Mehr erwartete ich nicht zu hören, ich kannte sie ja.
    Doch sie hielt inne, die Hand auf dem Türknauf, und zog eine Braue hoch. »Versprechen Sie mir, dass Sie vorsichtig sind?«
    »Ich versprech’s«, antwortete ich.
    Mercy Underhill ging nach Hause.
    Ich saß eine ganze Weile da und grinste blöde meinen Whiskey an. Dachte über meine Arbeit nach, die so grauenvoll war. Über meine Aufgabe, die fast unlösbar war. Über mein zerschundenes Gesicht. Meine nicht mehr vorhandenen Ersparnisse.
    Als ich mein Glas leerte, prostete ich stumm jedem einzelnen dieser Missgeschicke zu, bevor ich hinausging und Pfarrer Sheehys Tür hinter mir abschloss.
    *
    Als ich wieder in die Kathedrale kam, war das meiste Blut schon weggewischt, Polizeichef Matsell und Dr. Palsgrave waren gegangen, und Mr. Piest packte gerade die Beweisstücke, die wir gefunden hatten, in einen Sack. Ein paar müde wirkende Geistliche standen noch herum, flüsterten miteinander oder machten sich in frommem Eifer mit dem Wischmopp zu schaffen. Pfarrer Sheehy war verschwunden.
    »Er ist in den Tombs«, erklärte mir Piest. »Zum Verhör.«
    »Aber das ist doch absurd«,

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