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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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zu sehen. Ich schenkte mir noch einen kleinen Brandy ein, nur damit, während ich nachdachte, meine Hände etwas zu tun hatten. Seltsamerweise fühlten sich meine Hände, wenn sie so schrieben und Kreise malten und beschäftigt waren, lebendig an. Ich dachte bei mir: Ja, es funktioniert, mach weiter, alles, was dir in den Sinn kommt, gehört auf dieses Stück Metzgerpapier. Alles und jeder hängt davon ab.
    Ich lehnte mich vor und fing an zu zeichnen. Ich machte eineflüchtige Zeichnung von Silkie Marsh. Ich zeichnete Mercy so, wie sie in St. Patrick’s ausgesehen hatte, die Augen weit aufgerissen, das Haar offen. Ich zeichnete eine der vergrabenen Leichen, aufgeschnitten und die Knochen bloßliegend. Ich zeichnete Marcas in grausam groben Strichen, denn genau so hatte der Mord an ihm ausgesehen. Ich zeichnete Birds neues Kleid. Lauter kleine Zeichnungen in die Zwischenräume, um die Spinnweben aus meinem Kopf herauszubekommen.
    Und es funktionierte. Als ich die Bilder losgeworden war, fing ich an, mich an Worte zu erinnern.
    Und diesmal an die richtigen.
    Die Leute erzählen mir alle möglichen Dinge. Sie vertrauen mir Dinge an, die sie besser für sich behalten sollten, die sie unter den Teppich kehren sollten, Fakten, die sie besser in eine Reisetasche packen und dann in aller Heimlichkeit im Fluss versenken sollten. Ich schrieb eine Reihe von Aussagen in eine separate Rubrik und fand, dass AUSSAGEN die angemessene Überschrift für sie war. Satzbruchstücke von Mercy, von Palsgrave, Bemerkungen, zwischen denen ich nie irgendeinen Bezug hergestellt hatte.
    Als ich sie dann alle aufgeschrieben hatte, sahen sie überhaupt nicht mehr wie gesprochene Sätze aus. Sie sahen aus wie eine Landkarte. Eine Landkarte der Hölle vielleicht, aber dennoch eine Landkarte, und mir stockte der Atem.
    Ich zog den Brief – den einzigen, der mir geblieben war – unter dem Metzgerpapier hervor und las ihn noch einmal.
    Nichts ergab einen Sinn, aber alles passte zusammen.
    Mir war ein bisschen nach Lachen zumute, aber das wäre schrecklich gewesen. Irgendeinen Unterschied zwischen mir und Val musste es ja geben. Also malte ich stattdessen lieber mein Metzgerpapier zu Ende.
    Als Erstes zog ich einen Kreis um Liebe . In der Spalte DINGE , FÜR DIE EIN MENSCH MORDEN WÜRDE . Und dann auch um Gott , denn der gehörte dazu. Und dann um Geld .
    Als Nächstes notierte ich die folgenden Fragen:
    Was hat Piest im Wald entdeckt und dem Polizeichef mitgeteilt?
    Wer hat die Zusammenkunft besucht, auf der Pfarrer Sheehy seinen Vorschlag der Einrichtung einer katholischen Schule vorbrachte?
    Bei der Brotauslage klopfte es ans Fenster.
    Ich ging zu Mrs. Boehms Tür, nachdem ich mir noch schnell ein Küchenmesser gegriffen hatte. Ich war entsetzlich erschöpft, mir tat das Herz weh, in mir pulsierten wilde und verstörende Metzgerpapier-Erkenntnisse. Ich packte den Türknauf und hob gleichzeitig die Klinge des Messers, das Mrs. Boehm benutzte, um ihre Hühner auszuweiden.
    Und da stand, zu meiner großen Überraschung, der hübsche Jim vor mir, den baumstammdicken Bizeps meines bewusstlosen Bruders über die Schulter drapiert. Als ich Jim zum ersten Mal sah, hing er schlaff in Vals Armbeuge, und ich hätte jeden einen Lügner geschimpft, der behauptet hätte, er wäre imstande, sein eigenes Fliegengewicht zu bewegen, ganz zu schweigen von Vals noch dazu. Aber da hatte ich mich gründlich geirrt. Valentine schien gegenwärtig nicht in der Lage zu sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich konnte mir neun Gründe dafür vorstellen, und dann wählte ich den einen aus, der alle anderen in sich vereinte: Sein Bruder Tim war ein halbblinder Weichling.
    »Guter Gott«, brachte ich heraus. »Danke. Kommt herein, um Himmels willen. Ich nehme seine Beine.«
    »Dafür wär ich wirklich sehr verbunden«, antwortete er erschöpft.
    Am Ende machten wir es dann so, dass ich mir Vals Arme über die Schultern legte und mit ihm auf dem Rücken die Stufen hinaufstapfte, während Jim ihn bei den Knöcheln gepackt hielt und mir folgte, so dass Val nicht über jede einzelne Stufe gezerrt wurde. Wobei er das in seinem Zustand gar nicht bemerkt hätte. Das habe ich schon hundert Mal erlebt.
    In meinem Zimmer angekommen, ließ ich ihn ziemlich hartauf die Strohmatratze fallen. Ausnahmsweise nicht aus Ärger, sondern weil er ein verflixtes Schwergewicht ist.
    »Was zum Teufel ist passiert?«, fragte ich.
    »Na ja.« Jim zerrte erschöpft an dem Papierkragen seines frisch

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