Der Teufel von New York
die abblätternde Wandfarbe, was ihm die Mühe ersparte, es noch mal zu tun. Ich spürte, wie die Hand in meinem Nacken starr wurde.
»Du hast das nicht gewusst. Du hast gerade erst herausgefunden, dass sie ... verfügbar ist. Und du warst nicht nur scharf aufs Schiebern«, setzte er leise hinzu, »deine Absichten gingen eher in Richtung ... Altar.«
»Bitte halte einmal im Leben deinen Mund.«
Eine Stille wie ein gähnender Abgrund.
»Tim, tut mir leid«, sagte er. Es ist seltsam, diese Worte aus dem Mund eines Mannes zu hören, der einen am Genick gepackt hält. »Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich genau weiß, was du fühlst, aber ich wäre wahrscheinlich auch sehr niedergeschlagen.«
Ich kann mich nicht entsinnen, dass mein Bruder sich jemals bei mir entschuldigt hätte. Der eiserne Griff, mit dem er mich gepackt hielt, lockerte sich ein wenig.
»Wenn ich dich loslasse, wirst du mir dann eine reinhauen?«
»Wahrscheinlich.«
Er ließ mich los, und ich drehte mich um. Blut floss aus der Wunde, die ich ihm am Auge verpasst hatte. Ich hatte immer noch große Lust, ein zweites Mal zuzuschlagen, aber als ich seinen Gesichtsausdruck sah, konnte ich nicht. Valentine sah mich fast verlegen an.
»Tja, du hättest wirklich allen Grund dazu, mir eine reinzuhauen«, sagte er mit dem traurigsten Lächeln, das ich je gesehen habe. »Darfst du auch gerne, gratis, und dann gehen wir in dieTombs. Letztlich hab ich dir schon viel Schlimmeres angetan, bevor wir überhaupt jemanden aus der Familie Underhill kennengelernt haben.«
»Feuerwehrmann geworden zu sein ist auch nicht schlimmer, als mit der Frau ins Bett zu steigen, der ich gern meinen Namen gegeben hätte.«
Er blinzelte. »Ich kapier heut gar nichts von dem, was du sagst, Tim. Was ist falsch daran, dass ich als Feuerwehrmann arbeite?«
Ich traute meinen Ohren kaum. »Jetzt spiel doch nicht den Idioten.«
»Zum Kuckuck, Tim, ich bin ein Idiot. Was ist falsch daran?«
»Unsere Eltern sind in einem Feuer ums Leben gekommen«, fauchte ich meinen Bruder an, der vor mir aufragte, während sich meine Hände nutzlos zu Fäusten ballten. »Du erinnerst dich, ja? Und du hast praktisch am nächsten Tag angefangen, dich in jedes Feuer zu stürzen, das dir über den Weg läuft.«
Valentines grüne Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, hinter denen die Gedanken flackerten. »Vielleicht war das anfangs etwas hart. Aber das ist doch nicht der Grund, weshalb du die ganze Zeit wütend auf mich warst. Weil ich Brände bekämpfte. Ich bin dazu gemacht, Brände zu bekämpfen.«
»Irgendwann wirst du es so weit gebracht haben, dass ich dir dabei zuschaue, wie du bei lebendigem Leib verbrennst!«, schrie ich ihn an. »Was könnte mich schlimmer treffen?«
Val fing an zu lachen.
Es war nicht sein übliches Glucksen. Und es war auch nicht die schallende apologetische Variante. Das war ein Lachen, das einem eine klaffende Wunde in den Bauch hieb. Val konnte lachend dabei zuschauen, wie einer aufgeknüpft wurde, aber dieses Lachen hier machte jeden Galgenhumor zu einem harmlosen Gekicher. Mir war, als schaute ich dabei zu, wie sich jemand den Bauch aufschlitzt, und ich bekam einen Moment lang solche Angst, dass ich zu ihm ging und mit beiden Händen seine Arme festhielt. Er verzog wie gewöhnlich das Gesicht, aber diesmal sprach er es laut aus.
»Das ist nicht lustig. Überhaupt nicht lustig, nicht das kleinste bisschen.«
»Val«, sagte ich. »Hör auf, Val.«
Aber er hörte nicht auf mich.
»Du willst mir weismachen, du warst die ganze Zeit so wütend auf mich, weil ...«
»Weil du dich ab dem Augenblick, wo unsere Familie bei einem Brand umkam, in jedes Feuer gestürzt hast, das du finden konntest. Ja. Val. Valentine .«
Das war der einzige Augenblick meines Lebens, in dem ich größer war als er, denn er krümmte sich, die Hände auf den Knien, die blonden Haare fielen ihm in die Augen, und er lachte wie ein Mann, der seit langem zur Hölle verdammt ist.
»Oh, das ist starker Tobak. Soll ich dir was erzählen, eine richtig haarsträubende Geschichte? Ja? Du möchtest vielleicht wissen, was ich dachte , weshalb du zornig warst. Herrgott, ich krieg keine Luft mehr!«
»Val«, sagte ich. Meine eigene schwache Stimme tönte mir widerwärtig in den Ohren und ich hatte den verrückten Gedanken: Du ausgemachter Idiot, sei ein bisschen mehr wie er.
Val drehte den Kopf und sah zu mir hoch, das Blut rann ihm immer noch über die Wange. »Das Feuer. Das
Weitere Kostenlose Bücher