Der Teufel von New York
sobald es ein Gläschen Brandy in der Hand hatte, hauptsächlich über einen gewissen Ben Withers, einen sehr feschen jungen Mann, der aber seine Lehrzeit in der Brauerei noch nicht beendet hat und wie ein Schießhund aufpasst, mit wem sie spricht. Ein begnadeter Jig-Tänzer ist er auch. Schließlich lockten sie ihr heraus, dass sie und Ben manchmal für ein Schäferstündchen ins Wäldchen gingen. Und als sie gefragt wurde, ob ihr dort jemals irgendetwas nicht ganz geheuer vorgekommen sei, sagte sie, es komme dort manchmal eine Kutsche gefahren. Sie selbst habe sie zweimal gesehen.«
»Mein Gott«, sagte ich leise. »Hat sie gesehen, was die dort gemacht haben?«
»Sie wollte ja nicht ertappt werden. Also hat sie Abstand gehalten. Sobald die Kutsche auftauchte, haben die beiden Fersengeld gegeben.«
»Was sonst noch?«
»Nur eins. Die Kutsche hatte ein Bild auf der Seite. Sie sagte, es war ein Engel.«
»Ein Engel?«
»So sicher wie das Amen in der Kirche. Ein Engel. Deshalb wollte Matsell uns sehen. Es ist tatsächlich ein religiöser Irrer, Tim. Was bedeutet, dass das gestern Nacht nur ein Vorgeschmack war. Wir haben ein Riesenproblem, wenn wir ihn zu fassen kriegen, und wenn nicht, ebenso.«
»Nein«, sagte ich mit einem winzigen Seufzer. »Das heißt es überhaupt nicht. Ich weiß, was geschehen ist. Bis ins letzte Detail.«
Zum Glück kann Val meinen Kaffee nicht ausstehen und würde ihn niemals anrühren, sonst hätte er ihn jetzt wahrscheinlich über den ganzen Tisch gespuckt. Ich dagegen hatte das Gefühl zu fliegen und ins Bodenlose zu fallen, beides gleichzeitig. Es war nicht sehr angenehm.
»Wie denn das?«, fragte mein Bruder.
Ich deutete stumm auf das Blatt Metzgerpapier.
»Herrgott. Was machen wir denn dann noch hier, junger Schucker? Verdibberst du’s mir bitte?«
»Wirst du gleich in die Luft gehen, wenn ich es dir nicht sofort erzähle?«, fragte ich und stand auf.
»Ja. Nein. Himmel noch mal, Tim!«
»Ich muss noch jemanden sprechen.« Ich knöpfte mir die Weste zu, suchte nach meinen Stiefeln und band den dünnen Stoffstreifen über meine Narbe. »Kannst du eins für mich tun, bitte?«
»Sofern ich stehen kann«, sagte Val überlegend, »und sofern du mir einen Whiskey einschenkst, du ungastliche Ziegenzitze.«
Ich ging die Flasche holen. »Kannst du sofort nach Harlemzum Boehm-Hof gehen, dem Hof von Marthe Boehm? Meine Wirtin ist dort, und Bird Daly auch. Sie sollten eigentlich heute in die Stadt zurückkommen, aber sie brauchen eine Eskorte. Wenn du bei ihnen bist, dann weiß ich, dass nichts schiefgehen kann.«
»Und da wo du hingehst, besteht keine Gefahr, dass die Sache übel ausgeht?«, fragte er spitz.
»Das ist harmlos, Val, glaub mir«, sagte ich. »Ich muss nur mit ein paar Leuten sprechen.«
»Na, ich hab schon Befehle von größeren Gimpeln als dir ausgeführt, würd ich mal sagen.«
Mein Bruder legte taxierend den Kopf zur Seite und goss sich ein zweites Glas Whiskey ein. Größer als das erste. Ich zog meinen Mantel an und war schon fast zur Tür hinaus, als ich mich noch einmal umwandte.
»Warum hast mir nicht einfach gesagt, dass du mit der Verschleppung von Bird in die Fürsorgeanstalt nichts zu tun hattest?«
»Weil du dich taub stellst, wenn ich rede, Tim.«
Es klang ganz so, als habe er gesagt: »Weil man niemals Zitrone in die Milch gibt, du Spatzenhirn, dann flockt die Soße aus.« Er sah mich aber nicht an, sondern zog sein kleines Notizbuch aus der Tasche und fing an, Boehm hineinzukritzeln, mit einem Bleistiftstummel aus seinem Rock. Es hatte mir nicht sehr gefallen, als mir aus einem grausamen Zufall heraus in der gestrigen Nacht das Herz gebrochen wurde. Doch dieser neue Riss, den es jetzt davontrug, schien nur gerecht, denn ich bin offensichtlich siebzehn Jahre lang ein Instrument erbarmungsloser Strafe gewesen. Es ist nämlich so, dass Valentine Wilde niemals – nicht nur, weil es nicht seine Gewohnheit ist, sondern auch, weil er es nicht braucht – irgendetwas aufschreibt, um sich daran zu erinnern. Und das konnte nur eines bedeuten: Es schien im Augenblick über seine Kräfte zu gehen, mich auch nur anzusehen.
»Das habe ich fast vermutet«, sagte ich, als ich wieder einen Ton herausbrachte. »Val, es tut mir leid. Bitte geh nicht in die Türkei. Versprich es mir.«
Diesmal sah er mich an, und eine Augenbraue zuckte amüsiert. »Das Leben einer Meereskrabbe hat seinen Glanz für mich verloren.« Er steckte sein Notizbuch wieder weg. »Du
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