Der Teufel von New York
fest in seine Augäpfel.
»Weil ich kein sehr guter Bruder bin, aber ich könnte ja ein wenig üben.«
Val hustete etwas aus, das von Rechts wegen in die Five Points gehörte, und zog sein rotes Seidentaschentuch aus der Tasche. »Und wie hast du dir vorgestellt, das zu lernen?«
»Indem ich es mir von dir abschaue. Das ist mein Plan.«
»Dann bist du dumm wie Bohnenstroh.«
»Weiß ich.«
Ich hatte mehr als mein halbes Leben lang geglaubt, die schlimmsten Schandtaten meines Bruders bestünden im Feuerlöschen, Morphiumabusus und moralischer Verderbtheit, in genau dieser Reihenfolge. Und ich hatte nie die leiseste Absicht gehabt, ihm irgendetwas davon zu verzeihen. Nicht dass Val darum gebeten hätte. Aber zu wissen, dass sein größtes Verbrechen ein so gewaltiger dunkler Blutfleck war, dass er einen Mann vollkommen auslöschen konnte ... wundersamerweise machte es das leichter. Als ich mich letzte Nacht nach Hause schleppte, hatte es einen kurzen Moment gegeben, in dem mir klar wurde,dass ich die Person, die mich meiner Eltern beraubt hatte, einfach loswerden konnte. Dass ich Valentine einfach gehen lassen konnte. Und dann hatte ich daran gedacht, wie penibel mein abgründiger Bruder darauf achtete, die Tauben vor dem Kochen mit Butter, Rindertalg und Majoran zu füllen, und dass unser Fenster, wann immer wir eines besaßen, stets peinlich sauber war, und wie er, als uns einmal die Taschentücher ausgingen, eine alte Weste in Vierecke schnitt und diese säuberlich umsäumte. Ich hatte darüber nachgedacht, wie viel Mut es erforderte, in ein Feuer hineinzulaufen, in dem Menschen verbrannten. Und darüber, warum er diese Dinge tat. Und ich hatte mich mit Mühe zusammengenommen, um seinen Namen nicht laut durch die ganze Elizabeth Street zu brüllen.
»Ist das Pfefferminztee?«, krächzte Valentine ungläubig und schlug ein Auge auf.
»Ja.«
»Steht es wirklich so schlecht um mich?«
»Ja.«
Und so war es auch. Aber es dauert nie länger als eine halbe Stunde – die Eimerphase, meine ich –, und als die Übelkeit besiegt war, steckte Val seinen Kopf in mein Waschbecken, wusch sich, und wir gingen nach unten. Ich fand etwas altes Brot, das Mrs. Boehm eingewickelt und in den Küchenschrank gelegt hatte, ein Stück Bauernkäse und etwas Hausbier. Das Morgengrauen war jetzt schon längst nicht mehr grau, und die Luft war durch den Sturm abgekühlt. Ein stummer, wachsamer Morgen.
Als ich mit Kaffeekochen fertig war, setzte ich mich gegenüber meinem Bruder hin. Val starrte mit hochgezogenen Brauen auf mein Metzgerpapier.
»Dein Kaffee riecht wie eine irische Stiefelsohle«, sagte Val.
»Ich muss dir gleich sagen, dass du Scales und Moses Dainty nicht wiedersehen wirst. Ich habe nicht selbst Hand angelegt, aber sie sind ... nicht mehr auffindbar. Sie steckten mit Silkie Marsh unter einer Decke und stießen auf Leute, die nicht damit einverstanden waren, dass sie mich umbringen wollten.«
Mein Bruder war noch zu mitgenommen, um seinem Kummer Ausdruck verleihen zu können. Aber er sackte ein Stück tiefer in sich zusammen. »Dann ist wenigstens ein Problem gelöst. Weißt du, ich hab mir schon gedacht, dass bei den beiden was stinkt. Aber sie sind schon so lange bei mir, dass ich es nicht wahrhaben wollte. – Du bist ein Künstler in Sachen Mord geworden«, setzte er hinzu und starrte dabei unverwandt auf das Metzgerpapier.
»Es ist eine Hilfe. Was hat Piest entdeckt und dem Polizeichef mitgeteilt?«
»Dieser alte Halunke ist wirklich ein kluges Kerlchen.« Val seufzte, stützte die Ellbogen auf den Tisch und starrte düster auf das Brot. »Ich nehme an, du weißt, dass er bei dem Grab ein paar Schafshäute ausgegraben hat. Na ja, dann hat er das Mädel dazu gefunden. Sie hat ihm alles erzählt. Maddy Sample heißt sie.«
Maddy Sample war ein reizendes siebzehnjähriges Bauernmädchen mit roten Apfelbäckchen, das inmitten eines Kirschbaumhains am Waldrand lebte, dort, wo sie die Kondome gefunden hatten. Mr. Piest, Gott segne den verrückten alten Ganoven, hatte sie auf verschlungenen Wegen aufgespürt, als er den Pub aufsuchte, der der Grabstelle am nächsten lag. Er erzählte ihren Eltern eine erfundene Geschichte und nahm Maddy mit in die Tombs.
»Matsell und Piest befragten sie, und die beiden wissen ganz genau, was man tun muss, um einer Muck die Zunge zu lockern.« Val tunkte ein Stück Brot in sein dünnes Bier und wagte einen kleinen Bissen. »Das Mädel sprudelte nur so über vor Geschichten,
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