Der Teufel von New York
in Stücke reißen genauer zu erklären. Aus irgendeinem Grund erschien mir das sehr dringlich.
Außerdem ergab noch etwas anderes überhaupt keinen Sinn.
»Da ist gar nicht so viel Blut, nicht wahr? Ich meine, gemessen an dem, was man mit ihm gemacht hat.«
»Da hast du recht«, sagte Val bloß. Überrascht. Er verschränkte seine kräftigen Arme und kam zu mir herüber.
Der Junge war etwa zwölf Jahre alt. Eindeutig ein irischer Junge. Zarte, helle Haut und Locken in der Farbe von rosa Sand, das Gesicht wirkte verkrampft, aber die Augen waren friedlich geschlossen, als sei er erschöpft. Allerdings war er nicht einfach nur tot. Und man hatte ihn auch nicht eigentlich zersäbelt, wie Val gesagt hatte. Der Brustkorb des Jungen war wie mit einer Bügelsäge aufgesägt worden, genau in der Form eines Kreuzes. Muskelfetzen hingen heraus, Organe starrten uns an, Rippen stachen heraus. Es waren zwei gewaltige sich kreuzende Schnitte. Ich hatte keine Ahnung, wie die auseinandergerissenen Körperteile und die Knochenfragmente alle hießen. Aber ich wusste, dass ein Kreuz in den Thorax des armen Kindes geschnitten worden war und dass der weit geöffnete Brustkorb etwas merkwürdig Sauberes an sich hatte. Birds blutbesudeltes Nachthemd flatterte vor meinen Augen wie eine Kriegsflagge.
»Wer ist er?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«, antwortete Val gereizt und mit blitzenden grünen Augen.
»Wurde er vermisst gemeldet? Irgendein Kind, das aussieht wie er?«
»Falls du meinst, das hätten wir nicht als Allererstes überprüft, bist du wirklich ein Trottel. Wie auch immer, er ist so irisch, wie man nur sein kann. Machst du dir eine Vorstellung davon, wie dringend man nach denen sucht, wenn sie verschwinden? Da könnte man den Eltern ebenso gut anraten, ihre Flöhe besser im Auge zu behalten.«
»Also wann hat diese Jenny den Kübel geöffnet?«
»Viertel vor sieben.«
»Und vermutlich ist der Kübel selbst voller Blut?«
»Könnte man meinen, aber dem ist nicht so. Ich hab ein Weilchen mit dem Wirt, dem Koch und dem Austernjungen palavert. In dem Lokal sind auch zwei Schankburschen angestellt, aber die waren noch nicht da. Wir haben hier unten geredet, so kamen wir ein bisschen in Stimmung«, setzte er hinzu und rieb sich mit der Hand über die Fingerknöchel, in einer unbewussten Geste der Macht, die an mich vollkommen verschwendet war. »Ist schließlich ihr verdammter Abfallkübel, da sollten sie auch wissen, was drin ist. Wer drin ist. Nun ja, sie wussten’s aber nicht, und wer der Schratz war, das wussten sie auch nicht. Ich hab mich vergewissert , dass sie’s nicht wussten. Wie, das geht dich nichts an.«
Ich wollte Val gerade erklären, dass ich ihn nicht danach gefragt hatte und dass ich es auch gar nicht wissen wollte, als wir beide zögerliche Schritte vernahmen. Unsere Köpfe fuhren herum, als sei es einer. Zu meinem Ärger.
»Dr. Palsgrave«, sagte Valentine, als ein sehr kleiner Mann den Raum betrat. »Gut, dass Sie da sind.«
»Oh, der Himmel erbarme sich«, rief der gute Mann bei dem alptraumhaften Anblick.
Und wie es in New York und vor allem Barkeepern unangenehm oft passiert, stellte ich fest, dass ich ihn vom Sehen kannte.Dr. Peter Palsgrave ist der letzte Spross einer bekannten alteingesessenen Familie, die das Glück hatte, ihre Güter, darunter ein Stadthaus am Broadway, zusammengehalten zu haben. Er ist in der ganzen Stadt als Spezialist für Kinderkrankheiten bekannt. Und das machte ihn auch so besonders – niemand spezialisiert sich auf Kinderkrankheiten. Ein Arzt ist letztlich ein Arzt, da gibt es keine Unterschiede, es sei denn, er arbeitet als Chirurg oder im Irrenhaus. Dr. Palsgrave hatte lebhafte bernsteinfarbene Augen, einen sauber gestutzten silbernen Backenbart und eine merkwürdig gerade Haltung, die von seiner altmodischen Gewohnheit herrührte, unter der glänzend weißen Schalkragenweste ein Korsett zu tragen. Der Kastorhut, den er an jenem Tag trug, war recht hoch, sein saphirblauer Mantel maßgeschneidert. Alles in allem eine interessante Mischung aus flatternden Nerven und teurer Eleganz.
»Meine Sache ist das auch nicht so ganz, Doktor, obwohl mein Bruder Tim hier sich gar nicht dran sattsehen kann.«
Ob man es glaubt oder nicht, mein Bruder hatte schon schlimmere Arten gefunden, mich jemandem vorzustellen.
Dr. Palsgrave wischte sich die Stirn mit einem teuren Stück gesäumter grüner Seide.
»Ich muss mich entschuldigen, Gentlemen, aber mein Herz ist
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