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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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dünnen Ölpflaster schräg um meinen Kopf, so dass mein Auge frei blieb. Dann machte ich mich auf den Weg zur Kirche in der Pine Street.
    Als ich an den sattsam bekannten dreistöckigen Anwaltskanzleien und den Schaufenstern mit modernen Öllampen und Treibhausblumen entlangeilte, fragte ich mich, warum ich nicht stattdessen zu Bird lief, um sie zu fragen, was sie über den Jungen wusste, dem man ein Kreuz in die Brust geschnitten hatte. Ich überdachte das, und mir fielen zwei Gründe ein. Erstens hatte Bird gesagt: Sie werden ihn in Stücke reißen, und ich fühlte mich ganz elend bei der Vorstellung, ihr mitteilen zu müssen, dass sie richtig gelegen hatte. Natürlich vorausgesetzt, die Schüsselmit Hühnerblut war bloß eine weitere ihrer Erfindungen. Was aber meines Erachtens noch viel wichtiger war: Fürs Erste sollte außerhalb meines Hauses niemand etwas von Bird wissen. Taten sie das vielleicht schon? Hatte diese kleine Lügnerin mit dem lieben Gesichtchen und dem blutbesudelten Nachthemd möglicherweise viel zu viel gesehen? Ich würde Bird helfen, und dann würde ich dafür sorgen, dass sie auf einen anderen Weg kam.
    Ich war nicht mehr südlich des City Hall Park gewesen, seit ein gewaltiges Stück der Stadt bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. Je näher ich kam, desto widerstrebender bewegten sich meine Füße. Rauch drang in meine Nase, obwohl gar keiner da war, in meiner Einbildung sah ich die Glut im Schutt pulsieren. Eifrige Hammerschläge ertönten, als poche hier der Herzschlag der Stadt. Die Gebäude – immer noch intakt, gepflastert mit Modeplakaten sowie medizinischen und politischen Bekanntmachungen – sahen zunehmend versengt aus. Hier und da fehlten frühere Holzbauten ganz. Und das war auch der Grund für das Gehämmer: Iren, Hunderte und Aberhunderte von Iren schwitzten sich hier, Nägel zwischen den Zähnen, ihre Hemden durch, während vereinzelte gebürtige New Yorker zusahen, ab und an einen Schluck aus einer Flasche kippten und ihnen Beleidigungen an den Kopf warfen.
    »Ich war mein Leben lang Holzarbeiter, hab das Sägen von meinem Vater gelernt, und was macht ihr hier?«, schrie ein rotbärtiger Mann, als ich mich der William Street näherte. »Ein Nigger würde nicht arbeiten für so wenig Geld, und ein Nigger würde auch nicht so eine jämmerliche Arbeit abliefern!«
    Der angesprochene Ire biss die Zähne zusammen und sagte vernünftigerweise nichts, denn er wollte lieber seine Arbeit behalten, als sich hier auf der Straße zu prügeln. Aber er lief rot an, als der Mann jetzt dazu überging, seine Mutter zu beschimpfen, und im Vorübergehen sah ich diesen stumpfen, hilflosen Blick in seinen Augen, den ich so gut kannte. Diesen Ausdruck habe ich bei zerlumpten Juden mit fadenscheinigenKippas gesehen, bei Farbigen, die man buchstäblich aus dem Laden warf, bei Quäker-Farmern, über die man sich lustig machte, bei indianischen Kunsthandwerkern, die stoisch vor einem Tisch mit Perlenschmuck und geschnitzten Knochen saßen, während der Regen ihnen die schwarzen Zöpfe hinabrann. Es gibt hier immer jemanden, der klein gemacht wird, dem man diesen Blick aufzwingt. Auch mir ist es so ergangen. Und es ist nicht angenehm.
    Als ich in die Straße einbog, in der Mercy wohnte, sah ich die Verwüstung. Und dann gab es nichts anderes mehr. Vor allem für jemanden, der hier aufgewachsen war, der die Stadt gekannt hatte, bevor sie vom Feuer verwüstet wurde. Ich stand vor einem herrlichen Bienenstock quirliger menschlicher Erfindungskraft. Dutzende halbfertiger Gedanken waren hier zu Gebäuden geworden. Es gab frisch behauene Steine inmitten der Trümmer, Farbige, die den kurz vorm Hitzschlag stehenden Arbeitern Wasser brachten, schwarze Bäume mit verkohlten Wurzeln und Ästen, darunter blühende Blumenkästen, die man mit dem Schiff von Brooklyn oder Harlem herbeigeschafft hatte.
    Und weil es auf Erden keinen anderen Ort wie New York gibt, war ein Teil von all dem schon mein, nur weil ich es mit ansah. Ich hatte fast erwartet, der Anblick der Trümmerlandschaft werde mein Gesicht von neuem in Flammen setzen. Stattdessen sah ich mich um und dachte: Ja. Wir machen weiter. Vielleicht gehen wir in eine andere Richtung, vielleicht sogar in die falsche. Aber mit Hilfe welchen Gottes auch immer, wir machen weiter.
    Die Kirche in der Pine Street ist ein blassroter Backsteinbau mit angrenzendem Pfarrhaus. Als ich die schwere Kirchentür aufschob, nahm ich im Hintergrund undeutlich eine

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