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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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ohnehin gleich neben der Kathedrale und kann somit das Grundstück überwachen. Pfarrer Connor Sheehy, zu Ihren Diensten.«
    »Danke. Die Kerle aus der Bowery haben jetzt den Platz vor Ihrer Tür geräumt, falls es Sie interessiert.«
    »Sicher, sie ziehen jeden Nachmittag um diese Zeit wieder ab, bevor die katholischen Tagelöhner mit dem Dungschleppen fertig sind und nach einer hübschen Keilerei Ausschau halten.« Er lächelte. »Wir achten nicht weiter auf sie, Miss Underhill und ich. Ich habe das Gefühl, Sie haben sie dagegen recht hart angefasst, was einem Polizisten ja auch gut ansteht. Nun, Ihr Bruder, Polizei-Captain Wilde, hat mir da offenbar eine ernste Sache ins Haus geschickt. Sie wollen jetzt sicher den Jungen sehen. Er liegt in einer der Seitenkapellen. Kommen Sie.«
    Die ganze Umgebung hier war so anders als auf der Polizeistation, da fiel es mir fast schwer zu begreifen, dass es sich um ein und dieselbe Leiche handelte. In dem Licht, das aus den Fenstern hoch oben herabfiel, konnte ich ihn besser sehen. Er war umgeben von Bildern von Heiligen, die so still waren wie er selbst, eine angemessene Gesellschaft. Er trug jetzt ein weißes Hemd, sein Gesicht war der Sandsteindecke zugewandt, ein Tuch bedeckte ihn bis zur Brust. Allerdings konnte man ihn nicht mit einem Schlafenden verwechseln, nicht, wenn man schon einmal den Tod gesehen hatte. Tote Dinge sehen schwer aus. Zur Erde hingezogen auf eine Weise, wie es die Lebenden nicht sind.
    Mercy ging geradewegs zu ihm und stellte ihren Korb am Boden ab. »Ja, ich habe das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben, aber ich kann sein Gesicht nicht einordnen«, sagtesie. »Ich nehme an, Sie kennen den Jungen nicht, Hochwürden?«
    »Nein. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes sagen, wenn man bedenkt, was man ihm angetan hat.«
    »Was hat man ihm denn angetan?«, fragte Mercy wie aus der Pistole geschossen.
    Ich warf Pfarrer Sheehy einen Blick zu, mit dem man die Eisblöcke, die täglich mit dem Boot den Hudson hinuntergeschippert werden, zum Schmelzen hätte bringen können.
    »Wollen Sie das wirklich wissen, Miss Underhill?«, fragte ich. Und wünschte mir nur das eine Wort: Nein .
    »Widerstrebt es Ihnen denn, es mir zu sagen, Mr. Wilde?«
    »Es wurde ein sehr tiefes Kreuz in den Brustkorb des Jungen geschnitten«, erklärte Pfarrer Sheehy und schickte einen allzu wissenden Blick mitfühlenden Bedauerns in meine Richtung. Ich ignorierte ihn.
    »Zu welchem Zweck sollte jemand so etwas Schreckliches tun?«
    Sogleich erinnerte ich mich mit einem leichten Schwindelgefühl an Dr. Palsgraves unsägliche Dreierliste: satanischer Zauber, Schatzsuche, Nahrungsquelle .
    »Das wissen wir noch nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Bisher ist jeder Vorschlag lächerlich gewesen, beim religiösen Wahn angefangen.«
    Mercy war sichtlich betroffen. Sie legte die Hand an den Hals und murmelte: »Er ist doch nicht daran gestorben?«
    »Nein, nein«, versicherte ich ihr. Ein noch unklarer Gedanke klopfte in meinem Hinterkopf an. »Er starb entweder an einer Lungenentzündung oder an etwas anderem, das sich nicht mehr zurückverfolgen lässt. Miss Underhill, haben Sie im letzten Jahr irgendeine arme Familie betreut, in der jemand an den Windpocken erkrankt war?«, fragte ich dann mit einem Fingerschnippen.
    Ich beugte mich über die Leiche und zog das Hemd des Kindes nur ein oder zwei Zollbreit von der Schulter herunter. Die fastverblichenen Narben waren über die ganze Haut verteilt, weniger deutlich als die Sommersprossen, aber immer noch gut zu erkennen.
    Mercy verzog nachdenklich eine Seite ihres Mundes. »Im letzten Jahr hat es erstaunlich wenige Varizellen-Fälle gegeben. Er könnte natürlich auch die Krankheit durchgemacht haben, ohne dass ich ihn je zu Gesicht bekommen habe, aber ich ging etwa zwei Wochen lang mit in Melasse getränktem Papier umher und legte es den Kindern als Pflaster auf, um die Entzündungen der Haut einzudämmen. Es war eine ganze Reihe von Häusern in der Achten Straße zwischen der Harlem Railroad und dem Friedhof betroffen. Allerdings waren das gebürtige New Yorker, alles arme Leute. In der Orange Street gab es einige schwere Fälle, aber das waren Waliser. Oh«, sagte sie dann mit einem kleinen Zusammenzucken, »und ein paar Häuser in der Greene Street, wo ...«
    Während sie auf die Leiche hinabsah, begann Mercys Blut aus ihrem schönen Gesicht zu weichen.
    »Er kommt aus einem Haus der Sünde«, sagte ich ruhig und legte eine

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